Wie kann der (wechselseitige) Transfer zwischen Forschung und Praxis gelingen und so auch zur kontinuierlichen Qualitätsentwicklung in der frühkindlichen Bildung beitragen? Diese Frage stand im Zentrum des zweitägigen hybriden WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern.-Kongresses in der Berliner Robert Bosch-Repräsentanz. Dabei zeigte sich: Die Frage des gelingenden Transfers ist auf der wissenschaftlich-empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Ebene noch weitgehend eine Blackbox.

Zur Begrüßung lobte Dr. Stefan Luther vom BMBF per Videobotschaft die im WiFF stattfindende „gute Forschung zur frühkindlichen Bildung mit hohem Praxisbezug“. In der neuen Förderphase bilde dabei der Transfer ein Kernelement. Er unterstrich: „Transfer ist nicht einseitig und linear“ und „nachhaltiger Transfer ist ein Kreislauf zwischen Wissenschaft und Praxis“.

Ziel: Das kompetente System

kalicki copyIn seinem Einführungsvortrag beleuchtete Prof. Dr. Bernhard Kalicki vom DJI zunächst den Rahmen, in dem Transfer im frühkindlichen Bereich stattfindet. Grundsätzlich gehe es beim Transfer nicht nur um die KiTa und die einzelne Fachkraft, sondern um das kompetente Gesamtsystem mit seiner Mikro-, Meso- und Makroebene. Diese reichen von der konkreten pädagogischen Arbeit mit dem Kind über die Einrichtung, Jugendamt und Träger bis hin zur gesetz- und rahmengebenden Politik von Bund und Ländern. Hier sei im Zusammenspiel von Fachpraxis und Fachpolitik eine kohärente Entwicklung und Transformation notwendig.

Auf der Grundlage eines handlungstheoretischen Kompetenzmodells skizzierte Kalicki aktuelle Transferansätze aus Forschung und Praxis. In der Forschung gebe es so beispielsweise die eher unidirektionale „Implementationsforschung“ oder die die Praxis mehr einbeziehende „Praxisentwicklungs-“ oder „Aktionsforschung“. Wie er unterstrich, gebe es aber auch die wirkmächtige Entwicklung frühpädagogischer Ansätze aus der Praxis für die Praxis: Von Fröbel, Reggio und Montessori über Situations- und Early Excellence-Ansatz bis hin zur Alltagsintegrierten Sprachbildung reichten hier seine Beispiele.

Zum Abschluss skizzierte der Psychologe das exemplarische Modell zum Ausrollen von Programmen mit den Schritten der Entwicklung von Konzepten oder Qualifizierungen, der Umsetzung in Pilotdurchgängen, der Evaluation und der entsprechenden Anpassung. Wichtig sei es dabei, die Wissensbestände und Erfahrungen aus der Praxis aufzugreifen und „auf Augenhöhe“ zu interagieren.

Transfer in die Pädagogik ist hoch anspruchsvoll

weltzienIn einem zweiten Vortrag umriss Prof. Dr. Dörte Weltzien von der Evangelischen Hochschule Freiburg aktuelle Diskurslinien zum Transfer sowie die Erwartungen und Strategien im Feld. Sie hob hervor, wie anspruchsvoll der Transfer in die pädagogische Praxis sei, denn „diese ist von hoher Komplexität, Gleichzeitigkeit und Unvorhersehbarkeit“ – und damit nicht standardisierbar.

Um in das Handlungswissen und die Performanz zu münden, müsse Transfer in „wechselseitigen, aktiven Prozessen des Wissensaustauschs und der Wissenstransformation zwischen allen relevanten Akteur*innen“ stattfinden. Grundsätzlich biete Wissenschaft auch kein besseres, sondern nur anderes Wissen als die Praxis und für die Übernahme seien mehr oder minder starke Anpassungsleistungen notwendig. Wie aktuelle Befragungen zeigten, bestehe aber noch immer „ein starkes Gefälle zwischen Theorie und Praxis“.

Im Rekurs auf die WiFF-Expertise von Blatter und Schelle musste Dörte Weltzien konstatieren, dass es „kaum theoretische oder empirische Erkenntnisse zum Transfer in der frühkindlichen Bildung gibt“. Klar sei aber, dass es angesichts der völlig unterschiedlichen Ausgangslagen und Bedarfe von Fachkräften und KiTas kein „one size fits all“-Modell geben könne und ganz unterschiedliche Zugangsweisen entwickelt werden müssten. Entscheidend sei es dabei, das Erfahrungswissen von Praxis wertzuschätzen und einzubinden. Letztlich fingen die entsprechenden Transfer-DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. e in der frühkindlichen Bildung erst jetzt an, sich zu entwickeln und auszudifferenzieren.

Gemeinsame Transformationsräume schaffen

Abschließend plädierte Dörte Weltzien dafür, gemeinsame Transformationsräume für den Transfer zu schaffen. Beteiligt sein sollten hier Vertreter*innen der verschiedenen Ebenen des frühkindlichen Systems von der KiTa über die Träger, Aus- und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung bis hin zur Politik. Hier könnten dann „erweiterte Möglichkeiten für Wissensaustausch und Erkenntnisgewinn“ geschaffen werden. Ziel müsse es dabei gar nicht sein, über die Ebenen hinweg gemeinsame Entscheidungen zu treffen oder Konsenslösungen zu verhandeln, sondern vielmehr „informierte Entscheidungs- und Handlungsspielräume in den jeweils beteiligten Systemen“ zu eröffnen. Solche Transformationsräume können „vielfältige themenfokussierte Formate“ umfassen und sollten in gemeinsamer Planung und geteilter Verantwortung der Beteiligten stattfinden.

Blick auf konkrete Gelingensbedingungen für Transfer

hogrebeDie effektive Gestaltung von Transferumfeldern und Gelingensbedingungen für organisationale Veränderungsprozesse in KiTas standen im Fokus des Vortrags von Prof. Dr. Nina Hogrebe von der TU Dortmund. Sie hatte zu diesen Fragestellungen im Rahmen eines Projektes ein systematisches Review zu deutsch- und englischsprachigen Studienergebnissen durchgeführt und dabei auch die Praxis beteiligt. Nach intensiver Literaturrecherche und einem Screening mit kriteriengeleiteter Auswahl schrumpfte die Anzahl der Studienergebnisse von anfänglich 1.565 auf magere 9 Beiträge – eine deutliche Bestätigung dafür, so Nina Hogrebe, dass es zu diesem Themenfeld „nur sehr wenig empirische Forschung gibt“. Zudem konnte keine der übrig gebliebenen Studien alle wissenschaftlichen Qualitätsanforderungen erfüllen.

Aus den Studien ergaben sich dabei auch nur wenige konkrete Schlussfolgerungen für die Gelingensbedingungen von Transferprozessen bei einer einzelnen Fachkraft. Im Hinblick auf die Team-Ebene zeigte sich aber, dass die „Bewusstheit zur Relevanz des Themas und die Bereitschaft Änderungen mitzutragen“ entscheidende Faktoren sind. Für die Leitung seien es wiederum die „Fähigkeit zur konstruktiven Rückmeldung“ sowie die „Konsensbildung bei Konflikten im Team“.

Für die KiTa als Organisation sei es wichtig, so Nina Hogrebe, „eine gemeinsame Wertebasis zu haben und gemeinsame Ziele zu verfolgen“. Zudem müsse hier das individuelle Wissen der Fachkräfte auch organisational verfügbar gemacht werden. Im Hinblick auf das Gesamtsystem brauche es fachliche Expertise auf mehreren Ebenen und hier spiele die Offenheit und Dialogbereitschaft des Trägers und die Begleitung durch Fachberatung mit ihrer erwachsenenbildnerischen Kompetenz eine besondere Rolle.

Insgesamt, so das ernüchternde Resümee von Nina Hogrebe, „gibt es momentan zu wenig Forschung, um genau zu sagen, was beim Transfer tatsächlich wirkt“. Grundsätzlich bräuchten Transferprozesse aber Zeit, um entsprechende Haltungsveränderungen zu bewirken und die Performanz in der Praxis zu verändern. Inhouse-Fortbildungen hätten sich dabei als förderlich für den Transfer erwiesen und letztlich müsse der Fokus auf der Entwicklung des auch schon von Bernhard Kalicki angeführten „kompetenten Systems“ liegen.

Beispielhafte Transfer-Ansätze

Neben den Hauptvorträgen wurden auf dem WiFF-Kongress in neun verschiedenen Panels knapp 30 Qualifizierungs- und Transferprojekte aus verschiedenen Bildungsbereichen und für verschiedenen Zielgruppen vorgestellt. Das nifbe präsentierte so auch seinen Transferansatz von landesweiten Qualifizierungsinitiativen zu verschiedenen Themenbereichen wie aktuell beispielsweise „Partizipation und Demokratiebildung“. Mit seiner dezentralen Transferstruktur und der intensiven interdisziplinärinterdisziplinär|||||Unter Interdisziplinarität versteht man das Zusammenwirken von verschiedenen Fachdisziplinen. Dies kann auch als „fächerübergreifende Arbeitsweise“ verstanden werden, z.B wenn Psychologen, KinderärztInnen, ErzieherInnen und Lehrende zusammen an einer Fragestellung arbeiten.en Vernetzung in der Fläche, so die nifbe-Referenten Jörg Hartwig und Peter Keßel, nimmt das nifbe bundesweit ein Alleinstellungsmerkmal ein. Bei den Qualifizierungsinitiativen setzt das Institut dabei insbesondere auf Inhouse-Qualifizierung und Prozessbegleitung: Ausgehend von der konkreten Ausgangslage und den Bedarfen der KiTas machen die Teams sich mit der Prozessbegleiterin auf den Weg, um sich ein Thema näher zu erschließen und Schlussfolgerungen für die eigene Praxis zu ziehen. Austausch, Impulse und reflexive Phasen gehen dabei mit Wissens-Inputs Hand in Hand und führen zumindest aus der subjektiven Sicht der Teilnehmer*innen (s. Evaluations-Ergebnisse) zu gelingenden Transfer- und Entwicklungsprozessen.

Wie bei vielen der anderen auf dem WiFF-Kongress vorgestellten Projekte und Transferansätze bleiben letztlich aber auch bei den nifbe-Prozessbegleitungen die jeweiligen objektiven Wirkfaktoren für Transferprozesse noch weitestgehend im Dunkeln. Die Gelingensbedingungen von Transfer über Qualifizierungen in der frühkindlichen Bildung bilden so noch weitgehend eine Blackbox, in die durch empirische Forschung erst noch Licht gebracht werden muss. Eine klare Botschaft des Kongresses ist aber, dass Transfer nur in wechselseitigen Austauschprozessen und auf Augenhöhe zwischen Forschung und Praxis gelingen kann.

Hinweis:
Die WiFF wird für die Tagung eine umfangreiche Dokumentation zur Verfügung stellen mit Video-Streams, Präsentationen, Podcast und graphic recordings zu den Hauptvorträgen und Panels.

Karsten Herrmann