Institutioneller Rassismus in KiTas

Erscheinungsformen und Handlungsstrategien

Co-Autor: Benedikt Wirth


Bei dem Thema Rassismus denken viele vermutlich nicht unmittelbar an Kindertagesein richtungen (Kitas). Kitas werden gemeinhin als „Happy Places“ und als Schlüssel zum Abbau von Bildungsungleichheit gesehen. Das bildungspolitische Versprechen besagt, dass ein frühzeitiger Kitabesuch die Bildungsintegration fördert (Fthenakis 2006).

Es wird jedoch vielfach deutlich, dass Kitas weder das bildungspolitische Versprechen des Abbaus von Bildungsungleichheit einlösen können noch Bildungsprozesse inklusiv gestalten. Entgegen gesellschaftlichen Erwartungen findet Diskriminierung in Kitas statt. Auch hier erfahren Kinder und Familien Rassismus beziehungsweise ethnische Diskriminierung (siehe zum Beispiel Diehm/ Kuhn 2005; Dean 2020), Sexismus (Beinzger/Diehm 2003), Ableismus (siehe zum Beispiel Heimlich/Behr 2009) und/oder Klassismus (Baader et al. 2012). Im Ergebnis liegen zum einen Hinweise darauf vor, dass Kinder durch Diskriminierung vielfach in ihren Lern und Teilhabeprozessen behindert werden, zum anderen Kinder, denen ein Migrationshintergrund (1) zugeschrieben wird, unter Bedingungen eines akuten Kitaplatzmangels oftmals erst gar keinen Zugang in die Kindertagesbetreuung erhalten (Lokhande 2023).

Inwieweit institutionelle Rahmenbedingungen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen in der frühkindlichen Bildung befördern und wie sich diese in der Praxis manifestieren, wurde bisher noch nicht hinreichend untersucht.

In diesem Artikel wird argumentiert, dass es in Kitas unumgänglich zu Ein und Ausschlussprozessen, Privilegierung und De-Privilegierung sowie Diskriminierungserfahrungen kommt. Der Frage, wie sich Rassismus institutionell in Kitas prozessiert und einschreibt, wird in diesem Beitrag sekundäranalytisch (Heaton 2004) auf Basis von zwei verschiedenen Forschungsprojekten nachgegangen: der 2021 durchgeführten Pilotstudie „Institutioneller Rassismus in Kindertagesstätten“ und dem 2023 anschließenden Teilprojekt „Institutioneller Rassismus in der Kita“ des Rassismusmonitors des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung.

Die Pilotstudie fokussiert (De)Thematisierungsstrategien seitens Eltern und Kitas im Um gang mit Rassismus mittels qualitativer Interviews mit 16 Eltern sowie vier Akteur*innen, die im Bereich der diskriminierungs- und rassismuskritischen frühkindlichen Bildung arbeiten. In dem anschließenden Folgeprojekt stehen institutionelle Barrieren im Bildungszugang und in der Bildungsteilhabe in Kitas im Zentrum der Untersuchungen. Dazu wurden 28 leitfadengestützte Interviews und drei Fokusgruppen mit unterschiedlichen Akteur*innen der frühkindlichen Bildungslandschaft durchgeführt. Im Detail wurden sieben pädagogische Fachkräfte, 12 Leitungskräfte, neun Expert*innen der frühkindlichen Bildungslandschaft aus Verwaltung (Jugendamt oder Senat), Trägerverbänden, Anti-Diskriminierungsarbeit und Kitaevaluation interviewt.

Die Fokusgruppen wurden mit Stadtteilmüttern (2) durchgeführt, die größtenteils selbst über eine Migrationsgeschichte verfügen und Familien unter anderem sozialarbeiterisch bei der Kitaplatzsuche begleiten. Beide Forschungsprojekte sind in Berlin angesiedelt und werfen somit ein Licht auf den spezifischen Kontext der Stadt. Die Daten wurden in einem deduktiv-induktiven Analyseverfahren, angelehnt an Ansätze der Grounded Theory (Charmaz 2014), ausgewertet.

Institutioneller Rassismus als Strukturprinzip in der frühen Bildung

Rassismus lässt sich in Anlehnung an Stuart Hall (1989) und Philomena Essed (1991) als gesellschaftliches Strukturprinzip begreifen. Den beiden Autor*innen nach weist Rassismus Menschen ihre Position im sozialen Gefüge zu, indem die einen durch rassistische Markierungen systematisch bei der Verteilung relevanter Ressourcen benachteiligt werden, während andere bevorzugt werden, wie etwa im Zugang zur Kindertagesbetreuung. Dabei werden das „Andere“ oder die „Anderen“ (zum Beispiel der „Orient“, der „Türke“) im Gegensatz zum „Eigenen“ (zum Beispiel der „Westen“, das „Deutschsein“) in einer binären Logik verAndert (Reuter 2002), wobei das „Eigene“ als positiv und „normal“ aufgewertet, das „Andere“ als negativ und von der Norm abweichend abgewertet wird.

Dieser Mechanismus ist ein elementarer Bestandteil von Rassismus und wird in der Literatur als Otheringprozess benannt, der die Konstruktion des „Anderen“ (Said 1979; Hall 1997; Reuter 2002) beschreibt. Rassismus zeigt sich nicht nur in den bewussten Handlungen und Vorurteilen einzelner Personen, sondern auf allen Ebenen einer Gesellschaft, auch in ihren Institutionen. Institutioneller Rassismus beschreibt die systematische Benachteiligung von Personen aufgrund rassistischer Zuschreibungen in Organisationen.

Institutioneller Rassismus wirkt durch rassistische Wissensbestände (Terkessidis 2004), alltägliche Handlungsroutinen und institutionalisierte Praktiken (Benokratis/Feagin 1977; Gomolla/Radtke 2009). Er zeigt sich durch nichtintendiertes Handeln beispielsweise auch darin, dass Menschen oder soziale Gruppen in einer Organisation nicht repräsentiert sind, sowie darin, wer und was in einer Institution als „normal“ gilt.

Eine rassismuskritische Analyse erfordert Verschränkungen

(Intersektionen) von Rassismus mit anderen Ungleichheitsdimensionen zu erkennen, darunter beispielsweise Geschlecht, Klasse und Behinderung (Crenshaw 1989). Insbesondere in frühkindlichen Bildungsinstitutionen wirkt neben der Trias Race, Class und Gender zudem die Diskriminierungsform des Adultismus (3). Adultismus beschreibt das Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern und ordnet als Strukturprinzip die Gesellschaft intergenerational.

Eine kritische Perspektive auf das Machtverhältnis von Erwachsenen und Kindern ist relevant, um internalisierte Dominanzverhältnisse aufzudecken und die Verzahnung mit anderen Ungleichheitsdimensionen zu erkennen.
Institutionelle Exklusionsprozesse im Zugang zur Kita und in der Lernumgebung

Rassismus wirkt sich auf institutionelle Selektionsprozesse bei der Vergabe von Kitaplätzen aus. Kinder mit statistischem Migrationshintergrund sind in der Kindertagesbetreuung unterrepräsentiert. Besonders deutlich zeigt sich das in der Gruppe der Unter-Dreijährigen. So besuchten zuletzt rund 43 % der Kinder ohne Migrationshintergrund eine Kindertageseinrichtung in dieser Altersgruppe, während es bei Kindern mit Migrationshintergrund lediglich 21 % sind, die eine Kita besuchen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020: 88).

Zur Erklärung dieses Ungleichverhältnisses wurden in der Literatur oftmals die Elternpräferenzen (zum Beispiel für familiäre Betreuung) fokussiert. Mittlerweile zeigen jedoch immer mehr Studien, dass hier wohl weniger das Handeln der Eltern mit Migrationshintergrund eine Rolle spielt, sondern vielmehr der aktuelle Kitaplatzmangel und strukturelle Hürden, die es Eltern teilweise verunmöglichen ihren Bedarf zu decken (Pavolini/van Lancker 2018).

So bestätigen Auswertungen der DJI-Kinderbetreuungsstudie (KiBS), dass der Betreuungsbedarf beziehungsweise Wunsch nach einem Kitaplatz bei mehr als jedem fünftem Kind mit Migrationshintergrund (20,5 %) nicht erfüllt wird, während die Differenz zwischen Betreuungswunsch und tatsächlicher Bedarfsabdeckung bei Familien, in denen kein oder nur ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, bei lediglich 11 % liegt (Jessen et al. 2018: 270).
Aktuelle Analysen von KiBS-Daten bestätigen dies und zeigen, dass sich solche Differenzen im Zugang zur Kita im Hinblick auf nichtdeutsche Familiensprachen noch einmal verstärken. So liegt die Differenz zwischen Betreuungswunsch und Bedarfsabdeckung bei Kindern mit nichtdeutscher Familiensprache sogar bei 28 % gegenüber 11 % (Schmitz et al. 2023: 3).

Eine experimentelle Korrespondenzstudie, in der der Erfolg von Kitaplatzbewerbungen per Mail für Kinder mit als deutsch gelesenen Namen und Kinder mit türkisch gelesenen Namen verglichen wurde, liefert zudem klare Indizien dafür, dass diskriminierende Ausschlusskriterien bei der Kitaplatzvergabe eine Rolle spielen. Denn der Bewerbungserfolg für Kinder mit deutsch gelesenen Namen ist hier deutlich größer (Hermes et al. 2023). Diese Zahlen geben erste Hinweise darauf, dass rassifizier te Kinder systematisch vom Zugang zu Kitas ausgeschlossen werden. Auch Bostancı et al. (2022) zeigen in ihrer qualitativen Studie, dass manche Eltern bereits im Zugang zur Kita erleben, dass beispielsweise Zuschreibungen über das „Muslimisch-Sein“ zu einem erschwerten Zugang führen können. In der Folge bewerben sich einzelne Eltern mit abweichenden Angaben zu ihrem Namen oder ihrer Herkunft, um rassistische Ausschlussprozesse aufgrund von Zuschreibungen und stereotypen Annahmen zu umgehen (Bostan cı et al. 2022).

Zugang zur Kita

Unsere qualitativen Analysen zeigen, wie sich diese Ausschlussprozesse beim Zugang prozessieren. Kitaleitungen differenzieren bei der Vergabe von Kitaplätzen nach Kriterien wie Geschlecht, Alter und Wohnort und berücksichtigen darüber hinaus auch Aspekte wie Förderbedarf oder Familiensprache. Wie diese Auswahlkriterien zum Einsatz kommen, scheint nicht immer transparent und teilweise willkürlich.

Familien, die sich um einen Kitaplatz bewerben, stellen sich in verschiedenen Einrichtungen vor. Dabei variiert der Bewerbungsprozess: Einige Kitas bevorzugen die Einreichung der Interessensbekundung per E-Mail, während andere eine persönliche Vorstellung bevorzugen. In der Regel pflegen Kitaleitungen eine sogenannte Warteliste zur Vergabe von Kitaplätzen. Die Warteliste suggeriert, dass Plätze nach einer fairen Logik verteilt werden, in der Praxis ermöglicht sie jedoch auch Ausschlussprozesse.

Beispielhalft berichtet eine Stadtteilmutter in diesem Zusammenhang von einem Einrichtungsbesuch, bei dem sie eine rassifizierte Familie auf der Kitaplatzsuche begleitet hat. In ihrer Schilderung wird deutlich, wie etablierte Auswahlkriterien als subtile und diskriminierende Exklusionsmechanismen fungieren können: Gemeinsam mit der Familie erkundigt sich die Stadtteilmutter in einer neueröffneten Kita, ob es einen freien Platz gäbe, woraufhin die Kitaleitung antwortet: „Ja bitte schreiben Sie uns“. Darauf entgegnet die Stadtteilmutter: „Wir kommen bereits persönlich, wir schreiben auch noch eine E-Mail. Gibt es Platz für einen Einjährigen, der jetzt ein halbes Jahr alt ist?“ [Der Kitaleiter entgegnet darauf (Anm. Autor*innen):] „Nein, nein, nein, wir nehmen nur Kinder ab drei Jahren auf“ (Int. 4, 2023 Pos. 164-165). Daraufhin erkundigte sie sich, ob die Kitaleitung ein dreijähriges Kind aus ihrem Klientelkreis aufnehmen würde. Sie berichtet, dass die Kitaleitung ihr daraufhin folgendermaßen entgegnete: „Ja, warte mal, ich muss in die Liste gucken. […] Nein, leider geht es nicht, bei uns ist es voll“ (ebd. Pos. 168169).

Die beschriebene Situation verdeutlicht die Intransparenz des Zugangsprozesses zur Kita. Es scheint, dass die Kriterien für die Aufnahme, wie das Alter und die Warteliste, unklar und willkürlich angewandt werden, um die Nichtaufnahme bestimmter Kinder zu rechtfertigen. Die Stadtteilmutter berichtet, dass sie bei dem Kitabesuch „fast nur Kinder mit hellen Haaren“ (ebd. Pos. 165166) gesehen hat und setzt das Ablehnen des Kindes in den Kontext rassistischer Diskriminierung. Auch die übrigen Stadtteilmütter scheinen solche oder ähnliche Situationen regelmäßig zu erleben und betonen dabei die Problematik, derartige rassistisch wirksamen Exklusionspraktiken aufgrund ihrer subtilen Diffusität nur schwer benennen zu können. Es zeichnet sich jedoch ab, dass es Einrichtungen gibt, in denen bestimmte Kinder nicht repräsentiert sind.

Rassistische Wissensbestände in der Kita

Fehlende und exkludierende Repräsentation von BiPoC-Kindern in Kitas zeigt sich nicht nur im Zugang zur Kita und den dabei entstehenden Gruppenkompositionen, sondern auch in der Gestaltung der Lernumgebung. Aus den empirischen Daten geht hervor, dass Familien ein Repräsentationsmangel von Schwarzen Menschen und PoC in Büchern oder Spielmaterialien feststellen. BiPoCs kommen weiterhin kaum oder zumindest selten als positiv besetzte Hauptfiguren vor. Das Angebot an Spielmaterialien in Deutschland allgemein adressiert oftmals nur einen begrenzten Teil der Kinder und wirkt in der Charakterisierung stereotypisierend (GandouzTouati 2023).

Eine Expertin aus der Kitaevaluation berichtet, dass es in Kitas nicht nur teilweise an positiver Repräsentation in den Spiel und Materialangeboten mangele, sondern oftmals immer noch veraltete Bilderbücher oder veraltetes Liedgut mit rassistischen Abwertungen prävalent sind (Int. 17, 2023 Pos. 131141).

Eine Folge von einseitiger Repräsentation in Kitas ist, dass sich rassistische Wissensordnungen schon in der frühen Kindheit manifestieren und institutionell verfestigen können. Bücher und (Spiel)Materialien begleiten Kinder dabei, die Welt zu entdecken und prägen ihre Erfahrungs- und Lernprozesse. Die Nicht-Repräsentation von Vielfalt trägt dazu bei, dass Rassismus als Normalität (re)produziert wird (Wagner 2013).

Die Analysen unserer Interviews zeigen außerdem, dass institutioneller Rassismus auch über Wissensbestände und Handlungspraktiken von Kita-Mitarbeitenden wirkt. Diese manifestieren sich beispielsweise in Form von Etikettierungspraktiken seitens der pädagogischen Fachkräfte, die muslimisch gelesene Jungen als „Macho“ oder „Pascha“ bezeichnen, wenn sie zum Beispiel den Tischdienst nicht übernehmen möchten (vgl. Int. 4 und 5, 2021). Die rassistische Zuschreibung des „Macho“ oder „Pascha“ von muslimisch gelesenen Kindern stellt eine Ver-Anderungspraxis da, die sich binär zum weißen deutschen Kind konstruiert. Stereotype Abwertungen als Ver-Anderungspraktiken in Kitas lassen sich zudem im Blick auf die Zusam menarbeit mit Eltern beobachten. So werden deutsch gelesene Eltern pauschal als pünktlich und beispielsweise türkisch gelesene Eltern als die „Anderen“, die unpünktlichen und unorganisierten Eltern von manchen pädagogischen Fachkräften stilisiert. Eine Fachkraft berichtet, dass es in ihrer Kita folgende Annahmen im Team gäbe: „Deutsche sind pünktlich. Die Eltern, die morgens noch arbeiten müssen, die kommen natürlich auch pünktlich hierher“ (Int. 20, 2023 Pos. 548558).

Auch im Blick auf Sprache lassen sich Hierarchisierungstendenzen erkennen. Kinder mit deutscher Familiensprache werden in der Regel bevorzugt, während Kinder mit einer „anderen“ nichtdeutschen, insbesondere türkischen oder arabischen Familiensprache, als Herausforderung und zusätzliche Belastung für den Kita-Alltag problematisiert werden (Bostanci et al 2022; Int. 6 und 17, 2023). Die hier skizzierten Phänomene lassen sich als Erscheinungsformen eines sogenannten Neo-Rassismus beziehungsweise Kulturrassismus bewerten, der charakteristisch für antimuslimischen Rassismus in Deutschland ist (Shooman 2014). Im oben genannten Beispiel wird das Verhalten des Jungen auf seine Religion beziehungsweise Kultur zurückgeführt und nicht als normale kindliche Reaktion aufgefasst. Differenz wird so kulturalisiert (Kalpaka 2006).

Institutionelle (De-)Thematisierungsstrategien und Manifestierung von Rassismus

Unsere Daten zeigen, dass es kaum institutionalisierte Verfahrensweisen im Umgang mit Diskriminierung und Rassismus gibt. In der Regel wird hier lediglich auf die Möglichkeit der verbalen Rücksprache mit der Bezugserzieherin, Kitaleitung oder gegebenenfalls der Trägervertretung verwiesen. Fehlende etablierte Beschwerdeverfahren bei Diskriminierung und Rassismus erschweren es, Diskriminierung und Rassismus in der Kita zu thematisieren (Bostancı et al. 2022). In Bildungsinstitutionen sollte jedoch ein umfassender Schutz vor Diskriminierung gewährleistet sein. Entsprechend darf kein Kind aufgrund unterschiedlicher Diversitätsmerkmale diskriminiert oder in seiner Teilhabe behindert werden (vgl. beispielsweise UNKinderrechtskonvention).

Um eine inklusive und diskriminierungskritische Lernumgebung für alle Kinder zu gewährleisten, müssen Bildungseinrichtungen angemessene Vorkehrungen treffen und Verfahrensweisen etablieren, um sicherzustellen, dass kein Kind diskriminiert wird. Die Bearbeitung und Verhandlung von Diskriminierungsfällen bleibt jedoch oft auf der individuellen Ebene und variiert von Kita zu Kita. Dies ist nicht zuletzt darin begründet, dass Rassismus im Kontext der frühen Kindheit und somit auch in Kitas häufig ausgeblendet wird. Die Annahme, dass Rassismus in dieser Lebensphase noch kein relevantes Thema ist, ist weit verbreitet. Es fehlt an professionellem Knowhow wie mit Diskriminierung und Rassismus im Kita-Kontext umgegangen werden kann. Nicht ausreichend professionalisierte Beschwerdewege führen mitunter dazu, dass rassistische Vorfälle oder Wissensbestände von Familien zum Teil nicht angesprochen werden können oder (de)thematisiert werden. Interventionen in Diskriminierungsfällen müssen dann strategisch auf Empowerment und Ressourcenstärkung der Kinder im häuslichen Kontext ausweichen, anstatt in den Institutionen anzusetzen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Versuche von Familien, die Diskriminierungserfahrungen in der Kita sichtbar zu machen, von pädagogischen Fachkräften heruntergespielt oder verschleiert werden.

In der Studie von Bostancı et al. (2022) verweist eine Expert*in der Diskriminierungsberatung darauf, dass Kitas im Extremfall das Vertragsverhältnis nach einer Beschwerde auflösen mit der Begründung, dass das „Vertrauensverhältnis nun beschädigt sei“ (ebda.: 9 ). Daher entwickeln betroffene Eltern oft vielfältige und kreative Strategien, um mit den Erfahrungen von Diskriminierung umzugehen. Diese Strategien können von direkten, konfrontativen Interventionen bis hin zu Maßnahmen reichen, die darauf abzielen, mögliche rassistische Vorfälle frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Schlussbetrachtung

Die Analyse macht deutlich, dass Kitas in postmigrantischen Gesellschaften, entgegen gesellschaftlichen Erwartungen, keine diskriminierungsfreien Räume sind. Rassistische Erfahrungen sind auch in frühkindlichen Bildungsinstitutionen allgegenwärtig. Durch Wissensbestände, Objekte und Routinen wird im Kita-Kontext Rassismus institutionell hergestellt und reproduziert. Institutionelle Handlungspraktiken führen zu einer strukturellen Benachteiligung rassifizierter Kinder im Zugang zu frühkindlichen Bildungsangeboten. Institutionelle Hürden erschweren zudem die Nutzbarkeit adäquater Beschwerdewege im Kontext rassistischer Diskriminierung.

Prekäre Infrastrukturen und mangelnde Professionalisierung im Umgang mit Diskriminierung können zu Situationen beitragen, in denen Diskriminierung, Rassismus und Ungerechtigkeit leichter legitimiert werden können. Mangende Kitaplätze, gepaart mit intransparenten Wegen des Zugangs sowie der Intersektion von Adultismus und Rassismus schaffen ein Umfeld, in dem Exklusion und Diskriminierung normalisiert und legitimiert werden können. So bleibt die Frage offen, welche Handlungspraktiken Kitas im Kontext mangelnder Ressourcen in einer postmigran tischen Gesellschaft entwickeln. Vielfalt wird eher als zusätzliche Herausforderung denn als normaler Aspekt der täglichen Arbeit behandelt. Implizit und vermutlich ungewollt werden Bewertungsschemata und Hierarchien von Unterschieden eingeführt, die bestimmte Gruppen bevorzugt.

Allerdings tritt Rassismus in der Kita nicht nur als Folge von institutionalisierten Routinen und etablierten Verfahren zutage, sondern auch explizit durch stereotype Annahmen und rassistische Wissensbestände, die in einer binären Logik Otheringprozessen Vorschub leisten und rassistisches Handeln und Diskriminierung verschleiern. Die Verfügbarkeit von Kitaplätzen und qualifizierten Fachkräften, der Prozess der Kitaplatzvergabe, die Etablierung niedrigschwelliger und effektiver Beschwerdewege sowie die Überprüfung rassistischer Wissensbestände und die diskriminierungskritische Veränderung pädagogischer Aus und Weiterbildungen könnten sich dabei als wesentliche Stellschrauben erweisen, institutionellem Rassismus in der Kindertagesbetreuung zu begegnen.

Förderung:
Die im Beitrag beschriebenen Studien wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert.

Anmerkungen

(1) In diesem Artikel wird keine einheitliche Kategorisierung für Menschen benutzt, die im Bildungssystem rassistischen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt werden. Begriffe wie BIPoC, muslimisch gelesene/markierte Personen, Person mit nicht deutscher Herkunftssprache (kurz NDH) oder Migrationshintergrund werden als Hilfskonstrukte benutzt, da in Deutschland bisher keine etablierte statistische Kategorie Rassismuserfahrungen erfassen kann.
(2) Nähere Infos zu den Stadtteilmüttern unter: https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/familienfoerderung/stadtteilmuetter/.
(3) Nähere Ausführungen zu Verschränkung von Adultismus und Rassismus bei Bostancı 2024.

Literatur

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Erstveröffentlichung des Artikels als Open Access in:
Institutioneller Rassismus in Kindertageseinrichtungen. Erscheinungsformen und Handlungsstrategien. Migration und Soziale Arbeit (ISSN 1432-6000), Ausgabe 1, Jahr 2024, Seite 56 - 62




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