Die Partizipation ist in der KiTa-Praxis ein in vielerlei Hinsicht kontrovers diskutiertes Thema und zugleich ein unumstößliches Kinderrecht, das umzusetzen ist. Sie gilt darüber hinaus als Katalysator der kindlichen Entwicklung und Selbstbildung sowie als zentrales Element der Demokratiebildung von Anfang an. Doch wie kann Partizipation in Kindergarten, Krippe und Tagespflege tatsächlich gelingen und worauf kommt es besonders an? Diese Fragen beantwortet Fea Finger in ihrem Buch „Selbst aktiv statt fremd bestimmt“ auf kompakte und praxisnahe Weise.
Als Basis der Partizipation von Kindern in der KiTa beschreibt die Autorin die Haltung der Fachkräfte und das Prinzip der Gleichwürdigkeit: „Indem die Fachkräfte die Kinder ernst nehmen, sie nicht bevormunden oder belehren, entsteht eine gleichwürdige Beziehung.“ Es gehe dabei sowohl um die Kommunikation mit Worten, Gesten, Blicken und dem Tonfall wie auch darum, „ob die Erwachsenen wirklich bereit sind, zuzuhören, das eigene Wissen zurückzuhalten und nachzufragen.“ Mit einer solchen Haltung würden auch die häufig unbewussten und unreflektierten adultistischen Handlungsweisen ( z.B. mit dem Klassiker „dafür bist du noch zu klein“) vermieden.
„Indem die Fachkräfte die Kinder ernst nehmen, sie nicht bevormunden oder belehren, entsteht eine gleichwürdige Beziehung.“
Die Kindheitspädagogin, KiTa-Leiterin und Weiterbildnerin verbindet eine solche Haltung auch mit dem Vertrauen der Fachkräfte in die Selbstbildungsprozesse der Kinder: „Es findet also Partizipation statt, indem die Kinder selbstbestimmt entscheiden, was sie gerade interessiert, was sie spielen oder an welchem Platz sie sich zum Beispiel aufhalten möchten.“ Die Pädagogik gehe damit weg vom Vermitteln und hin zum selbststätigen Aneignen durch die Kinder. Damit würden diese auch entscheidende Kompetenzen entwickeln, die sie für die Welt von morgen benötigen – vom lebenslangen selbstständigen Lernen über die Kommunikationsfähigkeit bis hin zur Verantwortungsübernahme. Nicht zuletzt werde Partizipation aber auch durch eine konsequente Bedürfnisorientierung sowie eine entsprechende Zugewandtheit und Feinfühligkeit unterstützt: „Das Kind mit seinem Bedürfnis zu sehen und darauf einzugehen ist ein wichtiger Schritt, um ihm zu zeigen, dass es wirklich etwas zu sagen hat und gehört wird.“
Anhand vieler Praxisbeispiele dekliniert Fea Finger in der Folge die strukturelle Verankerung von Partizipation durch Kinderparlamente, -räte oder dem Beschwerdemanagement sowie in der alltäglichen Interaktion durch. Sie führt hier die entscheidenden und häufig mit viel Stresspotenzial sowohl für Kinder wie für die Fachkräfte verbundenen Schlüsselsituationen vom Morgenkreis über das Wickeln, Schlafen und Essen bis hin zur Garderobe aus – und stellt hier einerseits gemeinsame Lösungsmöglichkeiten und Kompromissfindungen im Team vor, formuliert aber auch unhintergehbare Grundbedingungen. So stellt sie beispielsweise unmissverständlich klar, dass im Morgenkreis mit allen seinem Für und Wider es Kindern grundsätzlich möglich sein sollte „freiwillig teilzunehmen oder sich für etwas anderes zu entscheiden“. Und ebenso gelte bei den Mahlzeiten mit ihrem großen Bildungs- und Beteiligungspotenzial, dass die Kinder selbst entscheiden, „was auf ihren Teller gelegt wird und was sie probieren wollen und was nicht.“
Grundsätzlich regt die Autorin an, allzu strikte Tagesabläufe mit ihren jeweiligen Mikrotransitionen „mit Blick auf Stressreduzierung und eine Steigerung von Teilhabe und Bedürfnisorientierung“ zu überprüfen und schrittweise zu flexibilisieren, denn: „Die Bedürfnisse der Kinder sind wichtiger als die Einhaltung eines ausgedachten Zeitplans.“
Auf diese Weise kann Partizipation und Bedürfnisorientierung, die auf den ersten Blick und gerade in Zeiten des Personalmangels vielleicht als (zu) zeitaufwändig erscheinen könnten, zu einem reibungsloseren und harmonischeren KiTa-Alltag beitragen und so auch Ressourcen schonen.
Fea Finger gelingt es in „Selbst aktiv statt fremd bestimmt“ die Grundlagen der Partizipation in der KiTa sehr praxisorientiert und mit vielen konkreten Beispielen kompakt und prägnant zu vermitteln. Unterstützend ist dabei die lockere grafische Gestaltung des im Herder-Verlag erschienenen Buches mit vielen Merksätzen, Zeichnungen, kleineren Exkursen sowie thematisch vertiefenden Verweisen über QR-Codes. Sie zeigt in diesem Buch, dass Partizipation „im Kopf beginnt“ und fordert abschließend: „Um Partizipation tatsächlich leben und umsetzen zu können, müssen wir anfangen mehr vom Kind zu denken.“
Fea Finger: Selbst aktiv statt fremd bestimmt. Gelingende Partizipation in Kita, Krippe und Kindertagespflege. Herder, 114 S., 18 Euro
Karsten Herrmann