Wie können bereichsspezifische Lernanlässe im KiTa-Alltag besser genutzt und die Interaktionsqualität insgesamt verbessert werden? Diese Fragen standen im Fokus einer zweitägigen gemeinsamen Tagung von Universität Osnabrück/CEDER und dem nifbe. Neben einer generellen Bestandsaufnahme von Prof. Dr. Yvonne Anders sowie der Vorstellung von aktuellen Forschungsergebnissen und – projekten zur bereichspezifischen Bildung wurden dabei auch schon konkrete Möglichkeiten des Transfers erörtert. Durch die Tagung führten Prof. Dr. Hedwig Gasteiger und Prof. Dr. Jan Erhorn aus dem Tagungsteam.
In einem digitalen Grußwort unterstrich Niedersachsens Wissenschaftsminister Falko Mohrs die „zentrale Bedeutung der frühkindlichen Bildung“. Hier würden der Grundstein für die gesamte zukünftige Entwicklung und Berufsbiographie gelegt und entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt. Er hob dabei auch den Beitrag der frühkindlichen Bildung in der KiTa zur Chancengerechtigkeit hervor und forderte: „Herkunft soll nicht über Zukunftschancen entscheiden“. Der Minister dankte dem nifbe und dem CEDER für den wichtigen Transfer von neuen Forschungsergebnissen in die Praxis und wies auf die Förderung der Tagung durch das Landesprogramm „Pro*Niedersachsen“ hin.
Prof. Dr. Kai-Uwe Kühnberger, Vizepräsident der Universität Osnabrück und nifbe-Vorstandsvorsitzender, beschrieb in seinem Grußwort den anstehenden Wandel von Hochschulen zu Orten des lebenslangen Lernens von der KiTa bis zur „silver-ager“-Akademie. Dabei werde der Transfer von neuen Forschungsergebnissen in die Praxis neben Forschung und Lehre zu einer „third mission“ der Hochschulen. „Im frühkindlichen Bereich spielt Niedersachsen hierbei schon eine Vorreiterrolle mit der entsprechenden Forschung am CEDER und anderen Hochschulstandorten sowie dem nifbe als dezentral aufgestellter und flächendeckender Transferorganisation“. Die Fachtagung markierte er als einen „wichtigen Baustein, um den Transfer zwischen Forschung und Praxis zu befördern“ und darüber zu diskutieren, wie neue Forschungsergebnisse und Konzepte in der KiTa genutzt und umgesetzt werden können. Ziel müsse dabei die „bestmögliche Förderung der Kinder“ sein.
Im Auftaktvortrag beleuchtete Prof. Dr. Yvonne Anders von der Universität Bamberg die aktuelle Lage in der frühkindlichen Bildung im Hinblick auf Qualität und auch Chancengerechtigkeit. Denn laut aktuellen Forschungsergebnissen entstehen soziale Disparitäten schon vor der Grundschule: „Die Schere geht bereits mit zwei Jahren auf“ sagte sie und wie zuletzt die IGLU-Studie festgestellt habe, erreiche jedes vierte Kind am Ende der Grundschule nicht die Basiskompetenzen. Sie unterstrich, dass die frühen Jahre diejenigen seien, „in denen man Kinder am effektivsten fördern und begleiten kann“ – auch unter volkswirtschaftlicher (Rendite-) Perspektive.
In der Folge ging die Psychologin und Pädagogin auf eine „große Varianz bei der Ausgestaltung des Bildungsauftrages“ in den KiTas ein. Ein historisch gewachsenes ganzheitliches Bildungsverständnis in sozialpädagogischer Tradition stehe dabei in einem Spannungsverhältnis zu einer stärkeren Fokussierung von Bildung und einzelnen Bildungsbereichen. Notwendig sei im Sinne eines „Open Framework Approach“ aber eine ausgewogene Balance zwischen Kindzentrierung und einer mehr programmgeleiteten Fachkraftzentrierung.
Als Charakteristika einer qualitativ hochwertigen Bildung stellte Yvonne Anders z.B. folgende heraus:
Wie sie weiter ausführte, entstehen qualitativ hochwertige Interaktionen zwischen Fachkraft und Kind in der KiTa beispielsweise durch Informieren, Erklären, Aufgreifen von Kinderfragen, aber auch durch die Ermutigung, Fragen zu stellen, über Gefühle und Meinungen zu sprechen und nicht zuletzt durch Humor.
Metanalysen, so Yvonne Anders, haben gezeigt, dass die Interaktions- und Prozessqualität „ausschlaggebend für positive Effekte beim Kind ist.“ Wichtig sei dafür auch die Strukturqualität z.B. im Hinblick auf Personalschlüssel, Raumgestaltung, Gruppengröße oder den Anteil mittelbarer pädagogischer Arbeit. Aber: „Eine höhere Strukturqualität übersetzt sich nicht automatisch in eine höhere Prozessqualität“ unterstrich sie. Entscheidend seien hierfür die jeweilige Leitung, die Teamentwicklung sowie die Organisations- und Implementationsqualität des pädagogischen Konzeptes.
Im Verweis auf aktuelle Forschungsergebnisse musste Yvonne Anders konstatieren, dass in den deutschen KiTas „eine domänenspezifische Förderung nur selten und oft in zu geringer Qualität stattfindet“. Je höher der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund in der KiTa sei, umso schlechter sei auch die Qualität. Noch immer seien Multikulturalität und Mehrsprachigkeit unterentwickelt. So bekämen Kinder mit Migrations-Hintergrund auch nur selten Zugang zu neuen Bildungsbereichen oder (digitalen) Tools.
Perspektivisch stellte Yvonne Anders die Nutzung digitaler Tools und Medien als große Chance dar – z.B. im Hinblick auf die sprachliche und naturwissenschaftliche Bildung, aber auch für die Zusammenarbeit mit Eltern und die gesamte Team- und Organisationsentwicklung. Gehemmt werde die Nutzung aber aktuell durch eine „zum Teil noch starke bewahrpädagogische Haltung“ sowie fehlende technische Infrastruktur.
In einem zweiten Hauptvortrag stellte Prof. Dr. Gisela Kammermeyer von der TU Rheinland-Pfalz ganz konkrete Ansatzmöglichkeiten für eine hohe Anregungs- und Interaktionsqualität in der KiTa vor. Sie fokussierte dabei auf das Gespräch mit Kindern, denn: „Das Gespräch mit Kindern bietet Zugang zu allen Bildungsbereichen und verbindet sie zugleich“. Situative Gespräche im KiTa-Alltag seien dabei die „Königsdisziplin der pädagogischen Arbeit“.
Grundsätzlich unterstrich die Professorin für Pädagogik wie zuvor schon Yvonne Anders, dass die Qualität der Interaktionen der entscheidende Faktor für die kindliche Entwicklung ist. In deutschen KiTas sei zwar die emotionale Unterstützung der Kinder gut, aber noch nicht die kognitive Anregung: „Hier ist noch viel Luft nach oben“.
In Bezug zu gängigen Kompetenzmodellen mit den Aspekten „Disposition“ und „Performanz“ konstatierte sie: „Der Weg vom Wissen zum Handeln ist weit“. So sei das Wissen zu gelingenden Interaktionen bei Fachkräften zwar oftmals da, die Umsetzung im komplexen KiTa-Alltag aber schwierig – und so kämen bei der Gesprächsführung noch immer besonders häufig geschlossene, aber nur sehr selten offene, gesprächsanregende Fragen vor.
Gisela Kammermeyer plädierte daher für eine Verbesserung der Anregungsqualität in der KiTa durch die Vermittlung von Gesprächsstrategien, wie sie in ihrem BiSS-Projekt „Mit Kindern im Gespräch“ entwickelt und erprobt wurden. Ziel müsse es sein, Kindern zu langanhaltenden und vertieften Gesprächen in den verschiedenen Bildungsbereichen anzuregen. Zu berücksichtigen seien dabei sowohl allgemeine „Frage- und Modellierungsstrategien“ als auch spezifischere „Strategien zur kindlichen Konzeptentwicklung“ und „Rückmeldestrategien“. Entsprechende Techniken sind hier beispielsweise:
Aus ihren Projekterfahrungen heraus konnte Gisela Kammermeyer auch schon viele Hinweise für einen gelingenden Transfer und eine entsprechende Realisierung in der KiTa geben. Wichtig seien dabei folgende Aspekte:
Zentral für den Transfer in die KiTa-Praxis, so die Referentin, „ist es aber auch den Fachkräften etwas für die Umsetzung im Alltag an die Hand zu geben“. Und so wurden im Rahmen ihres Projektes beispielsweise Impulskarten, Wendekarten, Fächer, ein Hosentaschenbuch und zuletzt ein einfacher Erinnerungs-Armreif mit dem Aufdruck „Mit Kindern im Gespräch“ entwickelt. Zudem werden verschiedene Fortbildungsvarianten und dabei auch selbstgesteuertes E-Learning angeboten.
Abschließend hob Gisela Kammermeyer die Videoanalyse und eine entsprechende gemeinsame Reflexion dazu als Kerninstrument heraus, um die Anregungsqualität in den KiTas zu verbessern. Auch der Austausch im KiTa-Team über „Highlights bei der Nutzung von Lernanlässen“ sei ein „Motor der Professionalisierung“.
Neben den Vorträgen standen auf der Tagung vier verschiedene Panels rund um das bildungsbereichsspezifische Lernen in der KiTa und entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse und Konzepte im Fokus – von der Bewegung über Mathematik, Naturwissenschaft oder Kunst und Musik bis zur Sprachbildung.
Auf einer abschließenden, von Prof. Dr. Dominik Krinninger moderierten Podiumsdiskussion wurde dann ein Resümee von Vertreter*innen aus den verschiedenen Ebenen des Feldes gezogen.
Die KiTa-Leiterin Christiane Harig berichtete von gut qualifizierten und ambitionierten Mitarbeiter*innen, die aber in der aktuellen Situation häufig gar nicht mehr zur bildungsbereichsspezifischen Bildung kommen würden.
Claudia Gebken von der HÖB in Papenburg konnte von einer hohen Motivation der Fachkräfte zur Weiterbildung berichten. Große Nachfrage gebe es so trotz der derzeit schwierigen Rahmenbedingungen für den Bereich Sprachförderung, aber auch für die Bereiche Bewegung / Psychomotorik und Musik. Als besonders gewinnbringend würden sich dabei Team-Fortbildungen und die Prozessbegleitung erweisen.
Josefine Koebe vom KiTa-Träger Fröbel verwies auf ein intensives Fort- und Weiterbildungsprogramm in ihrem Hause, das mit entsprechenden Möglichkeiten von Fachkarrieren und auch besserer Bezahlung verbunden sei. Sie unterstrich die Notwendigkeit, auch mit volkswirtschaftlicher Argumentation mehr Ressourcen für die frühkindliche Bildung zu generieren und auch eine Augenhöhe von KiTa und Schule herzustellen.
Die CEDER-Direktorin Hedwig Gasteiger zeigte sich optimistisch, dass sich das Thema der bereichsspezifischen Bildung im Feld durchsetzt. Sie konstatierte aber zugleich, dass noch wahnsinnig viel zu tun bleibt und es eher in kleinen Schritten vorwärtsgehe. Bereichsspezifisches Lernen im KiTa-Alltag umzusetzen sei hoch anspruchsvoll und wichtig sei zunächst einmal die Sensibilisierung für entsprechende Lerngelegenheiten.
Gisela Kammermeyer hob neben der Notwendigkeit zu mehr bereichsspezifischer Forschung die Forschung zum Transfer in der frühkindlichen Bildung als „zentrale Aufgabe der Zukunft“ heraus. Wissenschaftliche Erkenntnisse und Konzepte müssten besser anschlussfähig an die Praxis werden.
Im angeregten Diskurs von Wissenschaft und Praxis wurde auf der Tagung deutlich, dass schon viele gute Ansätze und Konzepte für das bildungsbereichsspezifische Lernen vorliegen, dass aber die durchaus anspruchsvolle Umsetzung in der Praxis sich unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und dem immer größeren Aufgabenportfolio von Fachkräften schwierig gestaltet. Und so fragte eine Teilnehmerin aus dem Plenum auch zu Recht: „Wie voll können wir den Rucksack noch packen?“