Rieke Hoffer, Klaus Fröhlich-Gildhoff, Maike Rönnau-Böse und Claudia Grasy-Tinius stellen in ihrem Buch zu dem aktuell höchst virulenten Thema „Herausforderndes Verhalten von Kindern professionell begleiten“ ein Curriculum für die Weiterbildung pädagogischer Fachkräfte vor. Sie haben dabei als Arbeitsgrundlage einen großen Fundus an erprobten Fort- und Weiterbildungsmaterialien zusammengestellt – im Praxisteil sind so unter anderem exemplarische Ablaufpläne, Methoden, Arbeitsblätter und auch Präsentationen enthalten, teilweise auf einer beigefügten CD.
Betont wird in der Einleitung ein prozesshaftes Vorgehen und es wird klar, dass das vorliegende Curriculum nicht als 1:1 umzusetzendes Rezept zu verstehen ist, sondern an die Bedarfe der jeweiligen Weiterbildungsgruppe angepasst werden soll.
Das Curriculum baut auf den Erfahrungen zweier Projekte auf, an denen das Zentrum für Kinder- und Jugendforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg (ZfKJ) beteiligt war.
Bereits beim Titel mag auffallen, dass von herausforderndem Verhalten gesprochen wird. Direkt in den Grundlagen zu Beginn der Veröffentlichung wird diese Formulierung in einer Fußnote eingeordnet: „Genau genommen müsste immer von ‚Verhaltensweisen, die als herausfordernd erlebt werden‘ gesprochen werden. Dies ist ein langer Terminus. Der im folgenden benutzte Begriff ‚herausforderndes Verhalten‘ ist im Sinne dieses Terminus zu verstehen.“ (S. 10). Vielleicht wäre es hier wünschenswert gewesen, diese Diskussion um den Terminus prominenter aufzugreifen, da Begrifflichkeiten ihre Spuren im Denken hinterlassen können. Im Praxisteil wird aber deutlich, dass sehr wohl eine reflektierte und ressourcenorientierte Sichtweise auf solche Verhaltensweisen und Situation vermittelt werden soll.
Vor dem Praxisteil folgen der Einleitung eine kurze Anbindung an das Kompetenzmodell von Fröhlich-Gildhoff et al. (2014), eine Erläuterung des inhaltlichen sowie des strukturellen Aufbaus des Curriculums und ein paar Hinweise zur Handhabung bzw. zu Rahmenbedingungen zur erfolgreichen Umsetzung. Den Hauptteil des Buches macht der Praxisteil aus, der sich über mehr als 100 Seiten im A4-Format erstreckt. Der Praxisteil besteht in Anlehnung an den Kreislauf professionellen Handelns (Fröhlich-Gildhoff et al. 2017) aus vier Bausteinen:
Diese vier Bausteine sind sehr übersichtlich gegliedert und mit einer Fülle an hilfreichen inhaltlichen Anregungen für die Weiterbildungspraxis zur Thematik bestückt. Im ersten Baustein folgt der Begriffsklärung die biografische Selbstreflexion. Bevor es dann ins systematische Beobachten und Dokumentieren geht, wird Wahrnehmung hinsichtlich verschiedener Wahrnehmungsmöglichkeiten, aber auch -verzerrungen thematisiert. Der zweite Baustein zeigt sehr schön in der Breite auch, wie das Verhalten der Kinder verstanden werden kann. Verschiedene Erklärungsansätze werden nebeneinandergelegt und auch die Frage nach den psychischen Grundbedürfnissen der Kinder in Bezug auf Grawes Modell aufgeworfen. Methodisch werden im zweiten Baustein die Kompetenzen für systematische Fallbesprechungen ebenso gestärkt wie der ressourcenorientierte Blick auf das Kind. Der umfangreichste Baustein ist der dritte, der sich auch in jedem Fall über zwei Fortbildungstage erstrecken sollte. Hier werden Strategien für Akutsituationen thematisiert und ebenso Anregungen für Handlungs- und Begegnungsformen auf verschiedenen Ebenen gegeben: Kinder, Eltern, Team und Konzept, Vernetzung und Kooperation. Im vierten Baustein geht es um Reflexionsmöglichkeiten und die Sicherung der Nachhaltigkeit, beispielsweise über eine konzeptionelle Verankerung.
Das alles klingt nach viel (wertvoller!) Arbeit, nicht nur in der Weiterbildung, sondern auch für die Begleitung von Kindertageseinrichtungen, da es keine Rezeptvorlage gibt, sondern das Team Schritt für Schritt einen Prozess durchläuft. Dennoch überzeugt der Praxisteil absolut durch seine vielfältige und fundierte Sichtweise, die methodisch äußerst praxisnah und gut verständlich dargestellt wird. Auch die ausführlichen Präsentationen und Arbeitsblätter zu den vier Bausteinen sind äußerst hilfreich und umfassend, um eine Weiterbildung aufbauend auf dem Curriculum bedarfsorientiert umzusetzen.
Neben Weiterbildner*innen können hier auch Fachberater*innen hilfreiche Anregungen für die konkrete Begleitung von Kindertageseinrichtungen finden. Es sollte aber nicht übersehen werden, dass die einzelnen Bausteine aufeinander aufbauen und einzelne Aspekte nur mit umfassenden Hintergrundwissen sinnvoll sein können, da es sich bei den thematisierten Situationen meistens um komplexe vielschichtige Phänomene handelt, in der ein ressourcenorientierter Blick sehr hilfreich sein kann. Dafür stellen Weiterbildungen, die sich an diesem Curriculum orientieren sicher eine gute Möglichkeit dar.
Peter Keßel