Auseinandersetzungen und Konflikte sind Teil des menschlichen Lebens und tre-ten in allen Kontexten auf – beruflich wie privat. Von den meisten Menschen wer-den sie als unangenehm und beeinträchtigend erlebt. Bei genauerer Betrachtung und Auseinandersetzung können Konflikte jedoch in einem neuen Licht erschei-nen und zum Ausgangspunkt für die persönliche Weiterentwicklung werden.
Ein sozialer Konflikt ist eine Interaktion zwischen zwei Aktoren (Einzelperson, Gruppe, Organisation). Mindestens einer der Aktoren hat eine Unvereinbarkeit im Wahrnehmen, Denken, Fu?hlen, Wollen mit dem anderen Aktor/Aktoren erlebt. Bei dessen Verwirklichung seines Denkens, Fu?hlens, Wollens spu?rt er eine Beeintra?chtigung durch den anderen Aktor/Aktoren (vgl. Glasl 2017, 17).
Ein sozialer Konflikt liegt vor, wenn einer der beiden Aktoren eine Differenz empfindet und es zu einer Aktion, einem Realisierungshandeln kommt. Mindestens eine Partei erlebt die Interaktion so, „[…] dass sie die Gru?nde fu?r das Nicht- Verwirklichen der eigenen Gedanken, Gefu?hle oder/und Intentionen der anderen Partei zuschreibt; es ist dabei unerheblich, ob dies von der Gegenpartei bewusst oder unbewusst, willentlich oder unabsichtlich so geschieht, ohne die Realisierung und das Erleben der Beeintra?chtigung (Behinderung, Widerstand, Abwehr oder Angriff) seitens immerhin einer Partei kann von einem sozialen Konflikt nicht gesprochen werden“ (Glasl 2017, 17).
Fachkräfte im Kinder- und Jugendbereich haben täglich mit Konflikten zu tun. Sie vermitteln zwischen Kindern und Jugendlichen, schlichten und führen Streithähne wieder zusammen. Aber wie sieht es bei den Fachkräften aus? Welche Hilfsmittel zum Führen von Konflikten gibt es in den Einrichtungen? Werden Konflikte innerhalb der Einrichtungen thematisiert, ausgehalten, gemanagt, geführt, übergangen oder ausgetragen? Wenn letzteres der Fall ist, mit welchen Folgen?
Einhergehend mit dem strukturellen Wandel werden die Anforderungen an die Qualität und die Professionalität immer grösser und komplexer. Pädagogische Fachkräfte agieren und vermitteln in einem Beziehungs- und Interessengefüge zwischen Kinder und deren Eltern, aber auch den Interessen der jeweiligen Träger, verschiedener Ämter und Institutionen.
Gerade in der Kita kann ein unsachgemäßer Umgang mit Konflikten sehr schnell zu Funktionsstörungen im Organisationsablauf führen. Sie führen zu Stress, Unzufriedenheit bei den pädagogischen Mitarbeitern, schlechtem Arbeitsklima, Instabilität und wirken bedrohlich und zerstörerisch und schließlich zu negativen Folgen für die pädagogische Qualität der Einrichtung. Hier lässt sich feststellen, dass Konflikte innerhalb einer Einrichtung auf der Tatsache beruhen, dass deren Organisation durch Arbeitsteilung und Teamarbeit gekennzeichnet ist, und dass innerhalb des Teams Menschen mit eigenen Zielen und Bedürfnissen arbeiten und agieren. Der strukturelle Wandel und die damit verbundenen komplexere und höhere Anforderungen und Erwartungen an die pädagogischen Fachkräfte sind ein guter Nährboden für Konflikte. Die Liste der Ursachen für Konflikte in der Kita ist lang. Kurze Beispiele daraus bilden:
Selten ist eine einzelne Ursache der Grund für einen Konflikt. Oft finden sich im Laufe der Zeit summierende Effekte, so dass die Analyse der Ursache für die Konfliktlösung wesentlich sein kann.
Neben den Merkmalen der Teamarbeit ist die Teamentwicklung ein geradezu „dynamischer und sto?ranfa?lliger Prozess“ und in bestimmten Phasen sind Konflikte nahezu normal (vgl. Fialka 2011, 146).
Ursprung für einen sich entwickelnden Konflikt ist häufig die Differenz von Bedürfnissen, Interessen und Zielen, verschiedener Menschen oder sozialen Gruppen. Nach Jost bestehen soziale Konflikte immer dann, „[…] wenn sich Interessengegensätze mehrerer Parteien durch nicht vereinbare Handlungen manifestieren.“ (Jost 1998, 10).
Nach dem Konfliktforscher Glasl, beginnen alle Konflikte mit warmen und kalten Phasen. Erst im Zuge der vierten Eskalationsstufe wird entschieden, ob der Konflikt heiß oder kalt weiter verla?uft. Ha?ufen sich Eskalationen, so kann sich ein kalter Konflikt auch in einen heißen vera?ndern (vgl. Mayer 2008, 31).
Grundsa?tzlich hat es die kalte Konfliktkultur viel schwerer, sich auf die heiße einzulassen. Es beno?tigt Zeit, bis sie sich bereit zeigt oder aus der Reserve gelockt wurde. Im sozialpa?dagogischen Kontext wird die kalte Konfliktkultur eher sozial akzeptiert, da diese weniger aggressiv und zuru?ckhaltender erscheint.
Kalt Streitende werten das offensivere und aggressivere Vorgehen ha?ufig ab. Damit es hingegen ausreichend Anlass und motivierende Gru?nde zur Bearbeitung eines Konfliktes gibt, sind zumeist etwas Zu?ndstoff und ausreichende Emotionen notwendig (vgl. Fialka 2011,172).
Für den Umgang mit Konflikten gibt es kein Rezept. Einige Konflikte ähneln sich und haben Gemeinsamkeiten. Trotzdem ist jeder Konflikt individuell, weil jeder Mensch und jede Situation individuell ist. Der Verlauf eines Konfliktes la?sst sich anhand des Eskalationsmodell von Glasl beobachten: dieses Modell erla?utert, wie sich ein Konflikt idealtypisch entwickelt.
Hierbei kann er auf verschiedenen Stufen beginnen oder auch enden. In der Regel beginnt ein Konflikt mit einer (1) Verha?rtung, darauf folgt eine (2) Debatte, in der sich der Wettbewerb versta?rkt. Im der na?chsten Stufe (3) folgen Taten statt Worte. Die Diskussion geht zuru?ck und das Ziel soll durchgesetzt werden. Eskaliert der Konflikt weiterhin, so empfindet man den Gegner als (4) Problem.
Das Gegenu?ber wird nahezu entpersonalisiert und in der na?chsten Stufe (5) nimmt man eine Scha?digung des Gegners in Kauf, er darf sein Gesicht verlieren. Daraus resultieren (6) Drohungen und ein scharfes unter Druck setzen des Gegenu?bers. Die Drohungen werden in der na?chsten Phase (7) umgesetzt. Dies steigert sich bis zur (8) Zersplitterung. Der Gegner wird so stark gescha?digt, dass er nicht mehr handlungsfa?hig ist. In der letzten Stufe (9) kommt es zur vo?lligen Eskalation, der Gegner soll vernichtet werden, die eigene Existenz kann hierbei ebenso zersto?rt werden (vgl. Glasl 2004, 127ff.; Mayer 2008, 48; Proksch 2014, 7f.).
Konfliktlösung ist somit ein dynamischer Prozess. Wie das Team und die einzelnen Personen mit schwierigen Situationen umgehen, ist sehr stark von den eigenen Erfahrungen abha?ngig. Die Formen der beobachteten und erfahren Konfliktbewa?ltigungen in der Familie und im Umfeld pra?gt hierbei maßgebend. Treten Menschen eher die Flucht an, ka?mpfen und erstarren oder stellen sie sich einem Konflikt?
Konfliktfähigkeit reflektieren
Eine Bereitschaft zur Lo?sung oder Meidung von Konflikten ist maßgeblich durch die eigene Biografie gepra?gt. Die Vorbilder aus der Familie, dem Umfeld oder der Kita/Schule spielen eine entscheidende Rolle. Sowohl im Kindesalter, wie auch spa?ter im Erwachsenenalter, wird der Umgang mit Konflikten genau beobachtet und beeinflusst in gewisser Weise die Konfliktfa?higkeit eines jeden Menschen (vgl. Kelch 2009, 10f.; Focali 2011, 56 ff.).
Neben diesen Faktoren spielt auch die eigene Perso?nlichkeit, die eigene Kultur und die Position im Streit eine Rolle (vgl. Mayer 2007, 44).
In Bezug auf das eigene Konfliktverhalten und -erleben sollte es fu?r jede Fachkraft von Interesse sein, sich mit der eigenen Biografie zu bescha?ftigen. Es ist hilfreich, hin und wieder die eigenen Einstellungen zu Konflikten und die erlebten Konfliktmuster zu reflektieren.
Team-Bewusstsein
Um in pa?dagogischen Einrichtungen Konflikten produktiv begegnen zu ko?nnen bedarf es einiger grundlegender Kla?rungen. Die Mitarbeiter*nnen mu?ssen sich als ein Team verstehen, das unter Fu?hrung einer Leitung zusammenarbeitet. „Erfolgreiche Teamarbeit ist nur mo?glich, wenn sich alle Beteiligten als aktive Mitgestalter*innen begreifen und sich bei der Konzeption der Einrichtung bzw. der Gestaltung einzelner Vorhaben engagiert einbringen. Je mehr sich ihre eigenen Ideen und Vorstellungen in der Gestaltung der Kindertagessta?tte wiederfinden, umso gro?ßer wird auch ihre Identifikation mit der eigenen Arbeit sein. Eine wesentliche Errungenschaft der Demokratie ist es, dass sich alle aktiv einbringen ko?nnen“ (Kelch 2009,17).
Zu Beginn eines Konfliktes ist es durchaus mo?glich, diesen selbst oder im Team allein zu deeskalieren. Liegt ein Problem oder ein Konflikt vor, so ist es wichtig, diese in Ruhe zu betrachten. Mit Wissen um die Hintergru?nde von Konflikten und der Bedeutung ihrer Lo?sung fu?r eine gelingende Teamarbeit gilt es zwei weitere Punkte zu beachten.
Die Teamleitung
Die Arbeitsergebnisse und das Klima verbessern sich, wenn Teamleiter*in sowie Kolleginnen/Kollegen sich mit Klarheit und Einfu?hlung begegnen. Der Leitung eines Teams kommt bei der Konfliktlo?sung eine wichtige Rolle zu. Ihre Aufgabe ist es, die Teamprozesse im Blick zu behalten und an notwendigen Stellen zu intervenieren: „Eine Fu?hrungskraft verfu?gt u?ber mehr Informationen und Kompetenzen als der oder die gewo?hnliche MitarbeiterIn und steht etwas u?ber dem Teamalltag. Sie begibt sich deshalb nicht in die tiefer liegende Arena der perso?nlichen Auseinandersetzungen, falls MitarbeiterInnen Fehler gemacht haben sollten. Diese kra?ftezehrenden Ka?mpfe hat sie nicht no?tig, da sie pragmatisch nur den ho?her liegenden Zielen der Einrichtung verpflichtet ist. Sie verbessert die Arbeit, in dem sie Hindernisse beseitigt und klare Vorgaben gibt, aber sie wird nicht moralisieren oder gar beschimpfen. Dadurch gewinnt sie Abstand zur Teamdynamik und sichert so die eigene Fu?hrungsrolle“ (Will 2012, 37). In fortgeschrittener Phase kann es no?tig sein, eine neutrale Person zur Vermittlung hinzuzuziehen (Supervision/Mediation).
Arbeiten Sie mit Ihrem Team an:
Jutta Häuselmann, Erzieherin, B.A. Kindheitspädagogin. Sie arbeitet freiberuflich als Dozentin für Naturwissenschaft und Technik an mehreren Hector-Kinderakademien am Regierungspräsidium Stuttgart. Sie ist Mitglied im Verein für Science und Technologie e.V. in Teningen.