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Mehrsprachigkeit: Fürs ganze Leben ein Gewinn

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Immer mehr Menschen in Deutschland haben eine internationale Geschichte. Klar, dass Kinder daher zunehmend mehrsprachig aufwachsen. Ist das eine Herausforderung für Fachkräfte? Sicherlich. Vielmehr ist es allerdings eine Chance. Sie im Kita-Alltag zu nutzen, ist unsere Aufgabe. Wie wir sie gut meistern, erfahren Sie im Artikel.

Die Zahl an Kindern mit mehrsprachigen Kompetenzen steigt kontinuierlich. Wir sollten diese Ressource in der pädagogischen Arbeit wahrnehmen, positiv nutzen und weiter ausbauen. Immerhin profitieren alle von einer sprachlichen Vielfalt. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit fördert Toleranz, Offenheit, Austausch und Empathie für andere und in der Folge den Frieden.

Timm Albers, Professor für inklusive Pädagogik, bringt es auf den Punkt: Mehrsprachigkeit ist eine Chance und kein Risiko. Es ist eine Fehleinschätzung, dass der gleichzeitige Erwerb mehrerer Sprachen zu Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung führt. Vielmehr ist es ein Geschenk fürs Leben, eine zusätzliche Sprache zu erlernen – nicht die Ursache von Sprachentwicklungsstörungen.

Im Kita-Alltag ist Mehrsprachigkeit jedoch eine Herausforderung. Pädagogische Fachkräfte benötigen Zeit, Kreativität sowie eine offene Haltung für Vielfalt und Toleranz, um die Bildungszeit entsprechend zu gestalten. Gelingt das, ist Mehrsprachigkeit eine Bereicherung für alle.

Mehr Regel als Ausnahme

Gemäß der Bundeszentrale für politische Bildung hatten rund 43 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren im Jahr 2023 einen Migrationshintergrund. Mehrsprachige Kinder in der Gruppe zu haben und mit ihren Familien zusammenzuarbeiten, ist somit Alltag. Viele Fachkräfte gehen mit Vielfalt äußerst professionell um. Sie reflektieren ihre Arbeit regelmäßig im Team, nutzen pädagogische Fachberatung und nehmen an Fortbildungen teil. Dadurch haben sie sich erfolgreiche Methoden und Fachkenntnisse angeeignet. Sie nutzen Bildkarten, Piktogramme, Realien, Mimik, Gestik oder Gebärden, um mit Kindern wirkungsvoll zu kommunizieren.

Bildkarten oder Fotos, auf denen der Tagesablauf dargestellt ist, bieten Kindern beispielsweise Sicherheit und Orientierung in einer neuen Umgebung. So erkennt das Kind, in welcher Phase des Tages es sich momentan befindet. Es macht Freude zu sehen, wie sich mehrsprachige Kinder die neue Sprache erschließen und immer mehr verstehen. Denn Sprache ist der Schlüssel zur Welt, wie etwa der Slogan des Bundesprogramms Sprach-Kitas deutlich macht. Des Weiteren helfen solche Maßnahmen nicht nur mehrsprachigen Kindern, sich zurechtzufinden, sondern allen.

Liest du mir was vor?

Nach wie vor eine bedeutsame Methode der mehrsprachlichen Bildung: gemeinsam ein Bilderbuch zu betrachten. Besonders angesichts der Tatsache, dass laut Vorlesemonitor 39 Prozent der ein- bis achtjährigen Kinder selten oder gar nicht zu Hause vorgelesen wird. Die Zahl verdeutlicht, wie bedeutend Vorlesen als fester Bestandteil pädagogischer Arbeit ist. Eine essenzielle Rolle, neben dem möglichst täglich stattfindenden Vorlesen in der Gruppe, spielen die Eltern. Sie müssen wir für das Vorlesen gewinnen. Fachkräfte können etwa die Eltern einladen, in ihrer Sprache etwas vorzulesen.

Spaß machen Kindern zudem Bilderbuchkinos oder Vorlesetage, bei denen in jedem Gruppenraum in unterschiedlichen Sprachen vorgelesen wird. Oder die Eltern nehmen Geschichten in ihrer Erstsprache auf einen Kreativ-Tonie auf. Ein Tauschregal für mehrsprachige Bilderbücher, Ausleihtage der kita-eigenen Bibliothek und Lesepat:innen sind außerdem erfolgreiche Maßnahmen.

Dabei ist sowohl die Qualität des Buches als auch die Art des Vorlesens entscheidend. Eine pädagogische Fachkraft kann Kindern mit mehrsprachigem Hintergrund ein gutes Buch originalgetreu, zum Beispiel in Deutsch, vorlesen. Die Frage ist, wie viel die Kinder so von der Geschichte verstehen.

Betrachten wir ein Bilderbuch im Dialog und orientieren uns an der individuellen Sprachentwicklung der Kinder, sind diese motiviert und aktiv dabei. Sie können sich verbal sowie nonverbal beteiligen und erfahren Wertschätzung für ihre Fähigkeiten von der pädagogischen Fachkraft. Sie erleben den bedeutsamen Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache. Und fast das Wichtigste: Sie fühlen sich als Teil der Gemeinschaft und gewinnen Vertrauen – eine Voraussetzung für den erfolgreichen Mehrspracherwerb.

Hilfreich bei der Auswahl von passenden und empfehlenswerten Bilderbüchern sind Listen, wie „Vorlesen in allen Sprachen“ von der Stiftung Lesen und der Empfehlungskatalog für den Buchbestand in Kindertageseinrichtungen 2022/2023.

In jeder Situation steckt ein Anfang

Weitere Materialien, die als Gesprächsanlass infrage kommen, sind Handpuppen, Kamishibai, Geschichtensäckchen, Erzählschiene, Koffertheater und Hosentaschendialoge. Außerdem sind Lieder, Fingerspiele, Kreisspiele, Reime, Rollenspiele und Theater, also jede Kombination aus Sprache und Bewegung, förderlich bei der Sprachentwicklung.

Das Gute ist, dass Erzieher:innen aus jedem Spiel, jeder Situation oder Interaktion einen Sprachanlass entwickeln können. Einige Beispiele: Beim Memo-Spiel spricht die Fachkraft deutlich und langsam aus, was auf den aufgedeckten Bildkarten zu sehen ist. Sie fragt die Kinder: „Wer kennt ein Wort dafür in einer anderen Sprache?“ Oder sie zählt im Morgenkreis ab, wie viele Kinder da sind – in verschiedenen Sprachen. So greift die Fachkraft die mehrsprachigen Ressourcen der Kinder auf.

Einen gelungenen Gesprächsanlass für alle bieten Sprachenwände im Flur. Jede neue Sprache, die ein Kind mit in die Einrichtung bringt, wird darauf dokumentiert. Die Schlüsselwörter werden in den Familiensprachen notiert. Auf diese Weise wird Mehrsprachigkeit sichtbar und Kinder und Erwachsene lernen mit.

Gute Erfahrungen machen viele Erzieher:innen, wenn sie selbst zu Lernenden werden: Sie lassen sich vom Kind oder den Eltern zehn wesentliche Worte in deren Herkunftssprache erklären und notieren diese auch für ihre Kolleg:innen. Ist die Aussprache schwer, machen sie Tonaufnahmen mit dem Handy. Das Kind und die Familie erfahren durch diese Methode große Wertschätzung und die Erzieher:in kann mit dem Einsatz der Schlüsselwörter eine gelungene Interaktion mit dem Kind gestalten.

Darüber hinaus haben sich digitale Tools bewährt. Dazu zählen Vorlesestifte, Vorleseroboter oder Apps, die eine große Auswahl an Büchern in mehreren Sprachen kostenpflichtig zur Verfügung stellen. Der Einsatz digitaler Medien sollte immer ein zusätzliches und bewusstes Angebot sein. Man sollte sie zeitlich sinnvoll begrenzen, um kein einseitiges Konsumverhalten zu fördern. Diese Medien eignen sich insbesondere für Kleingruppen. Allgemein gilt: Jedes Kind hat einen eigenen Zugang zur Sprache und daher kann das Angebot in der Kita gar nicht vielfältig genug sein.

Fast wie von selbst

In meiner Arbeit als Fortbildungsreferentin höre ich oft, wie groß die Herausforderung für die Erzieher:innen ist – gerade am Anfang. Vor allem wenn ein Kind die deutsche Sprache kaum versteht. Die Fachkräfte möchten, dass das Kind möglichst schnell Deutsch kann, und fühlen sich teilweise überfordert. In der Praxis erleben sie, dass das Kind in der Regel sehr offen und motiviert ist. Nach kurzer Zeit versteht es bereits die ersten Redewendungen. Zu Beginn der Kita-Zeit geht es in erster Linie darum, dass sich das Kind wohl- und angenommen fühlt und sich die Sprache in kleinen Schritten in einer wohlwollenden Atmosphäre aneignen kann. Ist es in der Gruppe integriert, findet der Spracherwerb fast von selbst statt, vorausgesetzt die Fachkräfte haben eine sprachförderliche Grundhaltung und bieten vielfältige Sprachanlässe. Im Nachhinein erkennen die Fachkräfte, dass der Prozess mit Mimik, Gestik, Freude und durch die Unterstützung der anderen Kinder gut vorangeht.

Förderlich ist es, wenn das Kind sich und seine Kultur in der Kita wiederfindet. Das kann man mit Bilderbüchern in der Herkunftssprache, Bildern oder Gegenständen umsetzen. Es sind Ankerpunkte, mit denen sich das Kind identifizieren kann und die ihm zeigen, wir sehen dich, du bist wichtig und gehörst dazu. Dazu kann man das Kind oder die Eltern fragen, ob sie etwas von zu Hause mitbringen möchten, das zu ihrer Kultur gehört.

W wie Willkommen

Die Zusammenarbeit mit Eltern und deren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen erfordert interkulturelle Kompetenz von Erzieher:innen. Grundlegend sind bereits die erste Begegnung und die Fragen:

  • Wie gehen die Erzieher:innen auf die Eltern zu?
  • Wie gestalten sie die Begrüßung?
  • Gibt es in der Einrichtung eine gelebte Willkommenskultur?
  • Wird der Name des Kindes von den Fachkräften korrekt ausgesprochen? Und hat er vielleicht eine Bedeutung?

Neben der Haltung, der freundlichen und respektvollen Ansprache sowie dem wertschätzenden Umgang müssen die Eltern sich über die Kita informieren können. Kitas gibt es nicht in jedem Land und für das Verständnis unserer ersten Bildungseinrichtung ist eine schriftliche kompakte Information in den Herkunftssprachen der Familien hilfreich.

Zu jedem Kind gehören Eltern, die mit ihren Erwartungen und eigenen Lebenserfahrungen zu uns in die Kita kommen. Unterstützen können hierbei übersetzte Inhalte über die Eingewöhnung oder ein Kita-ABC. Ein sensibler Umgang mit den Eltern ist entscheidend. Denn möglicherweise können sie nicht lesen, trauen sich nicht, Dinge anzusprechen, oder haben Sprachbarrieren. Wir sollten deren Bedürfnisse empathisch berücksichtigen. Hierbei können Übersetzungs-Apps und Dolmetscher:innen sowie für das Erstgespräch das kostenfreie „Bildbuch: Kita-Alltag. Bildgestützte Kommunikation mit Eltern in der Kita“ sehr hilfreich sein. Auch individuelle Fotobücher etwa über den Tagesablauf sagen häufig mehr als tausend Worte und schaffen einen guten Zugang zu den Eltern. Das schafft Vertrauen und ermöglicht eine konstruktive partnerschaftliche Zusammenarbeit. Fühlen sich die Eltern in der Kita willkommen und wohl, wirkt sich das positiv auf das Kind aus. Das Gleiche gilt umgekehrt.

Nutzen wir das Potenzial, das uns die Mehrsprachigkeit der Kinder bietet. Denn sie ist ein Gewinn für alle Kinder, unsere Kita, uns selbst und unsere Gesellschaft.

Der Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen (fmks) setzt sich für alle Aspekte des frühen Fremdsprachenerwerbs und der Mehrsprachigkeit ein. Er bietet Beratung, Fortbildung, Austausch und Informationen an und verbindet Forschung und Praxis.

Für die Praxis: Das QITA-Kriterienhandbuch für den Bereich Sprache und Mehrsprachigkeit und die dazu gehörigen QITA-Toolkit-Karten nennen Faktoren für einen gelungenen mehr sprachigen Kita-Alltag und den Umgang mit kultureller Vielfalt. Beides wurde von der Robert Bosch Stiftung unterstützt. Kostenloser Download über den QR-Code:

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 1-2025, S. 14-16

Ilka Maserkopf, Erzieherin, Heilpädagogin, B. A. und Sozialpädagogin. Sie arbeitet als Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen e. V. Nebenberuflich ist sie als
Fortbildungsreferentin tätig. Kontakt: i.maserkopf@web.de


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"Im Mittelpunkt der Arbeit des nifbe steht das Kind in seinem sozialen Kontext und mit seinem Anspruch auf bestmögliche Förderung und Begleitung von Anfang an."
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