■ Im Beratungsprozess sind Fachberater*innen mit unterschiedlichen Erwartungen und Sichtweisen von Leitungen, Fachkräften, Trägern und Eltern konfrontiert, die zu Spannungen führen können. Einerseits versuchen Fachberater*innen, die Meinungen zu verstehen. Andererseits müssen sie sich klar positionieren, um das Wohl von Kindern zu wahren
In Deutschland liegt die Verantwortung für den Schutz und für ein gesundes Aufwachsen von Kindern nicht nur in den Familien, sondern wird als Aufgabe der gesamten Gesellschaft verstanden. Fachberatung wird eine wichtige Rolle für die Qualitätsentwicklung in pädagogischen Einrichtungen zugesprochen.
Durch ihr professionelles Handeln tragen Fachberater*innen dazu bei, dass die Teilhabe von Kindern sowie deren Schutz- und Beschwerderechte gewährleistet werden (BAG-BEK 2021). Gemäß § 45 SGB VIII prüfen Fachberater*innen, ob die räumlichen, fachlichen, wirtschaftlichen und personellen Voraussetzungen für den Betrieb einer Einrichtung erfüllt sind. Bei der Trägerberatung übernehmen Fachberater*innen eine »Übersetzungsleistung« (Kaiser; Liposwski & Fuchs-Rechlin 2022, S. 21), indem sie Wissen so aufbereiten, dass Träger Verhaltensweisen des Personals einordnen und als Entscheidungsgrundlage für weiteres Handeln nutzen können. Dies ist v.a. bei Meldepflichten nach § 47 SGB VIII bedeutsam.
Eine weitere Aufgabe der Fachberater*innen ist die Beratung und Begleitung der Fachkräfte bei der Entwicklung von Schutzkonzepten. Mithilfe von Fortund Weiterbildungen, kollegialem Austausch und Reflexion unterstützen Fachberater*innen die Weiterentwicklung professioneller Kompetenzen. Für die Verständigung über Qualitätsansprüche und Erziehungsvorstellungen braucht es eine offene und angstfreie Kultur im Team (Preissing & Herrmann 2023). Beratung und Begleitung sollten daher auf fachlich-vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen basieren, bei denen Bedürfnisse und Vorkenntnisse der Beratenen berücksichtigt werden (Marx 2023).
Divergierende Erziehungsvorstellungen können jedoch auch dazu führen, dass verletzendes Verhalten gegenüber Kindern kontrovers wahrgenommen und beurteilt wird (Boll & Remsperger-Kehm 2021). Aufgabe der Fachberater*innen ist es, Konflikte gemeinsam mit den Beteiligten deeskalierend und lösungsorientiert zu bearbeiten (Kaiser et al. 2022). Unterschiedliche Auffassungen zu hören, Haltungen zu reflektieren, gemeinsame Werte zu identifizieren, sich als verwundbar, unsicher und fehlerhaft zu offenbaren, um Hilfe zu bitten, aber auch Unangenehmes mutig anzusprechen, Kritik zu äußern und Verhaltensweisen zu hinterfragen sind wichtige Grundlagen, damit Vertrauen entsteht und Entwicklung möglich ist (Ulber 2021).
Je nach Anlass und Situation nehmen Fachberater*innen im Beratungsprozess unterschiedliche Rollen ein. Einerseits möchten sie pädagogische Fach- und Leitungskräfte in ihrem Handeln bestärken und sie bedarfsorientiert beraten.
Andererseits bringen Fachberater*innen ihr Fachwissen ein, haben (insb. Bei Fach- und Dienstaufsicht) die Funktion des Monitorings und der Kontrolle, intervenieren bei Krisen, beraten bei Konflikten und treffen ggf. auch Entscheidungen über Sanktionen oder Kündigungen (Remsperger-Kehm & Weidmann 2016). Im Grunde bewegt sich Fachberatung permanent zwischen zwei gegensätzlichen Polen, nämlich »Verbindlichkeit und Freiwilligkeit, Kontrolle und Beratung sowie Identifikation und Abgrenzung« (Kaiser et al. 2022, S. 55).
Hinzu kommt, dass sich Fachberater*innen oft zwischen den Erwartungen von Leitung, Team und Träger hin- und hergerissen fühlen (Preissing & Herrmann 2023). Einerseits verstehen sie sich als (fürsorgliche) Unterstützer*innen und Vertrauenspersonen der Fachkräfte. Andererseits bringen sie ihre fachliche Expertise ein, sind Mittler zwischen Träger und Kita oder sehen sich als Anwält*innen für Kinder (Kaiser et al. 2022). So gesehen kann ihre Tätigkeit als »Beratung im Zwischen« verstanden werden (Alsago 2019, S. 444). Auch wenn die Gestaltung des Verhältnisses zu den Beratenen bedeutsam ist, soll Fachberatung nicht unreflektiert nur das umsetzen, was von anderen gefordert wird. Vielmehr müssen Fachberater*innen ein Bewusstsein für die eigene Tätigkeit und Verantwortung entwickeln, autonom und fachlich begründet handeln und sich deutlich positionieren, wenn es um den Schutz und die Rechte von Kindern geht (Boll; Miehe-Gruhn; Rein & Remsperger-Kehm 2025).
Ein weiteres Spannungsfeld entsteht durch die Überlastung und Überforderung der Fachberatung, die räumlich und zeitlich äußerst flexibel sein muss und oft eine hohe Anzahl an Kitas betreut. Werden Fachberater*innen (zu) spät um Hilfe gebeten, können sie lediglich als »Feuerwehr« und somit eher situativ und reaktiv agieren (Lattner & Hruska 2023, S. 173). Die Begleitung längerer Prozesse und ein konzeptionell präventives Handeln ist so kaum möglich (Marx 2023).
Darüber hinaus kann das Handeln der Fachberatung aufgrund biografischer Erfahrungen, individuellen Wissens und der jeweiligen Schwerpunktsetzung subjektiv geprägt sein (Alsago 2023). Zum Schutz von Kindern braucht es jedoch ein spezifisches Fachwissen, um die Entwicklung professioneller und bedürfnisorientierter Handlungsweisen der Fachkräfte zu unterstützen.
Nicht zuletzt müssen Fachberater*innen berücksichtigen, dass es Fach- und Leitungskräften schwerfallen kann, über verletzendes Verhalten, divergierende Erziehungsvorstellungen, biografische Erfahrungen und persönliche Empfindungen zu sprechen. Daher gilt es, den Spagat zu bewältigen, in erster Linie für den Schutz von Kindern einzutreten und dabei gleichzeitig einen verantwortungsvollen Austausch über die sensible Thematik des verletzenden Verhaltens zu ermöglichen (Boll & Remsperger-Kehm 2022).
AUF EINEN BLICK
> Beim Schutz von Kita-Kindern vor verletzendem Verhalten kommt Fachberatung eine zentrale Rolle zu.
> Fachberater*innen fühlen sich oft zwischen unterschiedlichen Erwartungen hin- und hergerissen.
> Fachberater*innen können dilemmatische Situationen nicht auflösen und müssen mit ihnen umgehen.
> Zum Schutz von Kindern müssen Fachberater*innen fachlich begründet handeln und sich deutlich positionieren
Um sich bei verletzendem Verhalten selbst positionieren und konsequent handeln zu können, braucht es die Stärkung des Rollenbewusstseins von Fachberatung und die Bewältigung von Widersprüchen in der Beratung. In der Regel können Fachberater*innen dilemmatische Situationen nicht auflösen und müssen mit ihnen umgehen (Ehrhardt et al. 2014). Hierfür ist es notwendig zu verstehen und zu begründen, weshalb in der jeweiligen Beratung eine bestimmte Ausprägung des Handelns bevorzugt wird. Sind Fachberater*innen mit widersprüchlichen Aussagen oder Erwartungen ihrer Adressat*innen konfrontiert, müssen sie entscheiden, ob sie einen Fall entfalten und den Beratungsauftrag klären oder einen Fall vereinfachen.
Sich Zeit nehmen, zuhören, Hintergründe einordnen und einen Sachverhalt verstehen, steht dem Bestreben gegenüber, Beratungsgespräche nicht »ausufern« zu lassen und sich von weiteren Themen abzugrenzen. Darüber hinaus kann es schwierig sein, im Verhältnis zu den Beratenen Nähe herzustellen und Distanz zu wahren.
Mit Blick auf institutionellen Kinderschutz zielt das Handeln der Fachberatung darauf, dass sich Fachkräfte öffnen und das eigene Verhalten reflektieren. Zugleich müssen sich Fachberater*innen abgrenzen und für die Rechte eines verletzenden Kindes einstehen. Ebenso gilt es abzuwägen, ob bei Beratungen biografische Hintergründe der Fachkräfte berücksichtigt oder ausgeblendet werden. Während die Berücksichtigung biografischer Hintergründe der Aufarbeitung verletzenden Verhaltens nutzen kann, besteht die Gefahr, dass die Distanz zur beratenen Person verloren geht.
Ähnliches gilt, wenn sich Fachberater*innen an den Erwartungen der Beratenen orientieren wollen und gleichzeitig eine gute Kindertagesbetreuung einfordern wollen. Um Kinder zu schützen, sind Fachberatungen gefordert, verletzendes Verhalten klar zu benennen und Wege einzuleiten, wie dieses verhindert werden kann. Dies betrifft auch die Frage, ob Fachberater*innen im Beratungsprozess geduldig abwarten oder sofort intervenieren. Trotz des Bewusstseins darüber, dass nur Leitungen, Fachkräfte und Träger gemeinsam ihre Praxis nachhaltig verändern können, ist das unmittelbare Eingreifen der Fachberatung zur Gewährleistung des Kindeswohls manchmal unumgänglich.
Die Betrachtung der Spannungsfelder im Beratungsprozess zeigt die hohen Anforderungen an Fachberater*innen, die im Kontext des institutionellen Kinderschutzes agieren. Im Fachbuch »Position beziehen – mutig handeln!« und dem dazugehörigen Praxismaterial werden daher zahlreiche Methoden aufgeführt, die Fachberater*innen für die Gestaltung ihrer Beratungsprozesse nutzen können (Boll; Miehe-Gruhn; Rein & Remsperger-Kehm 2025).
Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa Aktuell ND 4-2025, S. 13-14
Prof. Dr. Regina Remsperger-Kehm studierte Sozialwesen an der Fachhochschule Wiesbaden und promovierte zum Thema »Sensitive Responsivität in der Erzieher/in-Kind-Interaktion«. Die vierfache Mutter ist Professorin für »Pädagogische Grundlagen der Sozialen Arbeit und Kindheitswissenschaften« am Fachbereich Sozialwissenschaften der Hochschule Koblenz.