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Evidenzbasierung

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Der Begriff der Evidenzbasierung meint grob vereinfacht so viel wie „auf wissenschaftlichen Fakten beruhend“. Er ist vor allem im Zusammenhang der Debatte um evidenzbasierte Praxis bzw. Pädagogik (evidence based practice/ evidence based education) und Politik (evidence based policy) als Modell wirkungsorientierter Steuerung, aber auch im Zusammenhang von Fragen der Qualitätsentwicklung und Professionalisierung bedeutsam. Der hier verwendete Begriff der Evidenz unterscheidet sich also von einem alltagssprachlichen Verständnis, bei dem Evidenz auch im Sinne von „etwas auf der Hand Liegendes“ oder „Offensichtliches“ gefasst wird. Der Ursprung der Debatte um Evidenzbasierung wird im medizinischen Bereich verortet und führte von dort aus zu Adaptionen unter anderem im Bildungsbereich (Jornitz 2009, S. 70).

Evidenzbasierte Praxis (z.B. im Bereich Medizin, Pädagogik oder Politik), so die idealtypische Vorstellung, ist eine Praxis, die ihre Entscheidungen und ihr Handeln maßgeblich danach ausrichtet, welche Interventionen, Programme, Methoden und Maßnahmen im Rahmen bestimmter Forschung als besonders effektiv, also wirkungsvoll bewertet wurden. Ein enger Bezug zwischen Forschung und Praxis wird hier also insofern angenommen, als Forschung praxisrelevantes Wissen über Wirkungszusammenhänge generieren soll, das dann als anleitende, beste verfügbare Informations- und Handlungsgrundlage zum Beispiel für (sozial-)pädagogisch Tätige oder politisch Verantwortliche dienen soll (Albus & Micheel 2012, S.180 f.). Gemeint ist dabei allerdings nicht jedes verfügbare Forschungswissen, sondern Forschungswissen, das bestimmten strengen wissenschaftlichen Kriterien und Standards genügt. Als höchster Standard wird dabei Forschungswissen bewertet, das mit Hilfe systematischer Reviews bzw. Metaanalysen, also zusammenfassender Analysen verschiedener Untersuchungen in einem thematischen Gebiet, sowie randomisierter kontrollierter Studien generiert wurde (McNeece & Thyer 2004).

Bildungspolitische Perspektive

Auch aus bildungspolitischer Perspektive wird mittlerweile der Frage einer evidenzbasierten „effektiven“ professionellen pädagogischen Praxis und entsprechender Forschung ein prominenter Stellenwert eingeräumt, so etwa im 12. und 14. Kinder- und Jugendbericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2005, S. 310; 2013, S. 400) oder in der aktuellen Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung (Bundesregierung 2013, S. 30). Angeregt wurde diese Aufmerksamkeit für Evidenzbasierung auch durch eine verstärkte Hinwendung zur Qualitätsentwicklung im Rahmen der Diskussion um die Modernisierung des öffentlichen Sektors seit den 1990er Jahren (Stöbe-Blossey, 2012, S. 95) sowie durch die Konjunktur der empirischen Bildungsforschung im Zusammenhang der großen Leistungsvergleichsstudien seit 2000 (Tippelt & Reich-Claassen, 2010, S. 22). So hat auch vor dem Hintergrund der als besorgniserregend bewerteten Ergebnisse dieser Studien insofern ein Perspektivwechsel im Hinblick auf die Steuerung im Bildungswesen stattgefunden, als der Fokus verstärkt auf nachweisbare Ergebnisse und Leitungen im Bildungswesen als wesentlicher Ankerpunkt für Qualitätsentwicklung gerichtet wurde.

Als ein Beispiel für Forschungs- bzw. Entwicklungsprogramme im Bereich der frühkindlichen Bildung, das eine wirkungsorientierte Perspektive im oben beschriebenen Sinn einnimmt, lässt sich für Deutschland etwa die Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift – BISS“ nennen. Ziel dieses Programms ist es unter anderem, die Wirksamkeit und Effizienz von bereits eingesetzten Instrumenten und Verfahren zur Sprachförderung und -diagnostik sowie zur Leseförderung wissenschaftlich zu überprüfen (vgl. Steuerungsgruppe „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“ 2012).

Blinde Flecke und Stolpersteine

Wenngleich das Thema der Evidenzbasierung im Hinblick auf Forschung und Praxis bildungspolitisch derzeit deutlich gefordert und gefördert wird, weisen kritische Stimmen insbesondere aus sozial- und erziehungswissenschaftlicher Perspektive auf blinde Flecke und Stolpersteine hin, die mit einem engen Fokus auf Evidenzbasierung im pädagogischen Feld verbunden sein können.

So wird etwa kritisch angemerkt, dass dem Modell evidenzbasierter Praxis trotz des Postulats eines engen Praxisbezugs ein statischer Transferbegriff zu Grunde liege, der Wissenschaft und Praxis in einem hierarchisch gedachten top-down-Verhältnis situiert: Forschung generiert Wissen darüber, was am besten wirkt, und stellt dieses Wissen zur Verfügung, während pädagogische Praxis auf Basis dieses Regelwissens handeln soll, um gewünschte Wirkungen zu erzielen. Unberücksichtigt blieben bei einem solchen Forschungs-Praxis-Verständnis nicht nur Fragen der Wissensaneignung und das Verhältnis von Wissen und konkreten Handlungen, sondern auch Fragen der Übertragbarkeit bzw. Übersetzbarkeit von Wissen aus einem System (Wissenschaftssystem) in ein anderes (pädagogisches und politisches Praxissystem). Desweiteren wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass dem Modell evidenzbasierter Praxis ein technologisch-zweckrationales Verständnis pädagogischen Handelns zu Grunde liege, das erstens Gefahr laufe hinter Erkenntnisse langjähriger Auseinandersetzungen mit dem Wesen von Erziehung und Bildung zurück zu fallen, zweitens die normative Dimension von Pädagogik auch in ihrem diskursiven Prozess weitgehend ausklammere und drittens dem von Komplexität, Ungewissheit und bedingter Planbarkeit gekennzeichneten pädagogischen Alltag nur begrenzt Rechnung tragen könne (in kritischer Perspektive hierzu etwa Albus & Micheel 2012; Bellmann & Müller 2011; Biesta 2011; Hoffmann et al. 2014). Schließlich sei Evidenz jenseits methodischer bzw. methodologischer Fragen auch als Element eines forschungs- und bildungspolitischen Diskurses zu verstehen und kritisch in den Blick zu nehmen, da sich hier eine grundlegende Transformation gesellschaftlicher Wissensproduktion andeute (Forster 2014, S.904 f.).

Literatur

  • Albus, S.; Micheel, H.-G. (2012): Entmündigung der Praxis? In: Unzicker, K.; Hessler, G. (Hrsg.): Öffentliche Sozialforschung und Verantwortung für die Praxis. Wiesbaden: Springer VS, S. 179-197
  • Bellmann, J.; Müller, T. (2011): Evidenzbasierte Pädagogik – ein Déjà-vu? Einleitende Bemerkungen zur Kritik eines Paradigmas. In: Dies. (Hrsg.): Wissen, was wirkt, Kritik evidenzbasierter Pädagogik. Wiesbaden: Springer VS, S. 9-32
  • Biesta, G. (2011): Warum „What works“ nicht funktioniert: Evidenzbasierte pädagogische Praxis und das demokratiedefizit der Bildungsforschung. In: Bellmann, J.; Müller, B. (Hrsg.): Wissen, was wirkt. Kritik evidenzbasierter Pädagogik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 95-121
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin: Eigendruck des Ministeriums
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013): 14. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Berlin: Eigendruck des Ministeriums
  • Bundesregierung (2013): Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. Zugriff am 12.06.2014. Verfügbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf
  • Forster, E. (2014): Kritik der Evidenz. Das Beispiel evidence informed policy research der OECD. Zeitschrift für Pädagogik 60 (6), S.890-907
  • Hoffmann, H.; Kubandt, M.; Lotte, J.; Meyer, S.; Nolte, D. (2014): Professionelle Praxis im Spannungsfeld von evidenzbasiertem Wirken und Handeln in ungewissen Situationen – empirische Plausibilisierungen und Transferperspektiven. In: Fröhlich-Gildhoff, K.; Nentwig-Gesemann, I.; Neuß, N. (Hrsg.): Forschung in der Frühpädagogik – Band 7. Schwerpunkt: Profession und Professionalisierung. Freiburg: FEL, S.47-79
  • Jornitz, S. (2009): Evidenzbasierte Bildungsforschung. In: Pädagogische Korrespondenz 40, S. 68-75
  • McNeece, C. Aaron; Thyer, Bruce A. (2004): Evidence-Based Practice and Social Work. In: Journal of Evidence-Based Social Work 1, S. 7-25
  • Steuerungsgruppe „Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich“ (2012): Programmskizze „Bildung durch Sprache und Schrift“ (Bund-Länder-Initiative zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung). Verfügbar unter http://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2012/2012_10_18-Initiative_Sprachfoerderung_Programmskizze.pdf
  • Stöbe-Blossey, S. (2012): Governance und Qualität in der Elementarbildung. In: Ratermann, M.; Stöbe-Blossey, S. (Hrsg.): Governance von Schul- und Elementarbildung. Wiesbaden: Springer VS, S. 33-55
  • Tippelt, R.; Reich-Claassen, J. (2010): Stichwort: »Evidenzbasierung«. In: DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 4, S. 22-23.
Wissenschaftliche MitarbeiterInnen | sarah.meyer@nifbe.de

Wissenschaftliche Mitarbeiterin Forschungsstelle Elementarpädagogik

 

Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte:

  • Heterogenität/Diversity im Elementarbereich
  • Gender in Institutionen der frühkindlichen Bildung und in der Familie
  • Qualitative Forschungsmethoden

Projekt:

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Mittwochs10-12 Uhr

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