Das vorliegende Positionspapier vom 14.7.2011 bezieht Stellung zur Heterogenität der vorhandenen kindheitspädagogischen Studiengängen und ist in einem Arbeitskreis der betroffenden Universitäten und Hochschulen entstanden.
Prof. Dr. Stefan Brée
Maria-Eleonaroa Karsten
Die Modernisierung der pädagogischen Praxis in öffentlichen Kindertageseinrichtungen einerseits sowie die Heterogenität unterschiedlicher Profile in den bisher vorhandenen kindheitspädagogischen Studiengängen zur Bildung, Erziehung und Betreuung im Kindesalter bis max. 14 Jahren haben den Bedarf an differenzierten Kompetenzprofilen deutlich gemacht. Mit Blick auf die Anerkennung der Studiengänge durch die zuständigen Ministerien (MK und MWK in Niedersachsen) und die damit verbundene Frage der Regelung des Berufszuganges für BA- Absolventinnen (vgl. KITaG Niedersachsen § 4) ist in diesem Zusammenhang eine Positionierung seitens der betroffenen Universitäten und Hochschulen , insbesondere bezogen auf das Verhältnis von Fachschul- und Hochschulausbildungen dringend geboten.
Universitäre und hochschulische Studiengänge sind immer originäre Orte der Realisierungen des langjährig erprobten, akademischen Denkens, Forschens, Lehrens und Handelns. Sie beziehen sich damit durchgängig als Professionalisierungsweg auf das besondere Verhältnis von Disziplin und Profession, hier im Allgemeinen der Erziehungswissenschaft und Sozial-pädagogik, im Besonderen der Kindheitspädagogik.
Professionalisierung ist ein aktiver und dynamischer Prozess, um besonders verantwortungsvolle Berufe, wie den aller PädagogInnen in der Arbeit mit Mädchen und Jungen, als Professionen weiterzuentwickeln und ihren Anspruch auf die Gewährleistung von Professionalität in ihrem Handeln zu verwirklichen.
Die auf diese Weise realisierte gesellschaftliche Zuständigkeit für die Gestaltung aller Lebens- und Bildungsprozesse mit Mädchen und Jungen, ihren Mütter und Vätern in deren
Lebens- und Sozialraum ist heute die Aufgaben der Kindheitspädagoginnen und aller, die zusammen die Organisation, die pädagogischen Interaktionen, deren Verwaltung und Politik
ausmachen. Aktive Professionalisierung umfasst als Arbeitsprogramm deswegen fortlaufend:
Der Professionalisierungsbegriff, den kindheitspädagogische Studiengänge in diesen Kontexten ihrem Studien – und Ausbildungskonzept zugrunde legen, geht davon aus, dass eine zentrale Grundlage für professionelles Handeln eine wissenschaftlich-theoretische und durch Forschung fundierte Fachkompetenz ist. Professionelles Handeln zeigt sich im Praxisvollzug als situationsangemessene, nicht standardisierbare und interaktionszbezogene Handlungskom-petenz in jeder Ebene des elementarpädagogischen Feldes, die theoretisch fundiertes Wissen mit Erfahrungswissen verknüpft.
Professionalität wird in diesem Zusammenhang als Bereitschaft und Fähigkeit verstanden, mit der Ungewissheit und Unbestimmtheit komplexer pädagogischer Situationen reflexiv umzu-gehen.
Entsprechend zielen BA Studiengänge darauf ab, die Studierenden dabei zu unterstützen, die professionelle Sozial-, Fach-, Methoden- und Handlungskompetenzen für die Gestaltung des komplexen pädagogischen Alltags herauszubilden und einzuüben.
Zu einem solchen aktiven Professionalisierungsverständnis gehört das forschende Lernen und die Aneignung und Differenzierung eines hierauf bezogenen akademischen Habitus.
Es geht bei der Ausbildung im BA Studium darum, die Fähigkeit zu entwickeln, soziale Situationen in ihrer Komplexität und Veränderlichkeit zu erfassen, zu beschreiben, zu interpretieren und für wissenschaftlich geleitete Erkenntnisschritte zu systematisieren.
Grundsätzlich ist damit auch die Kompetenz verbunden, selbst forschend tätig zu werden und dies ggf. in einem Masterstudium zu vertiefen. Dies wäre dann der Weg in den wissenschaft-lichen Nachwuchs.
Studierende im kindheits-pädagogischen Studium erwerben Kompetenzen für die wissenschaftlich geleitete Recherche, kennen Erhebungs- und Auswertungsmethoden der Sozialforschung und sind in der Lage Praxisforschung und Evaluation mit unterschiedlichen Methoden und in verschiedenen Kontexten zu betreiben.
Diese wissenschaftlich-reflexiv orientierten Kompetenzen sind im BA Studium vor allem die Grundlage für eine erweiterte Fähigkeit, unübersichtliche Praxissituationen komplexer wahr-zunehmen und im Dialog mit allen AkteurInnen differenzierter Handeln zu können. Angesichts der sich grundlegend verändernden Bedingungen und Herausforderungen im Berufsfeld sind diese Fähigkeiten unverzichtbar und werden bislang in Fachschulen nicht erworben.
Auf dieser Basis sind auch das Praxisverständnis und die Aufgaben von Praktika neu zu differenzieren.
Professionelles und kompetentes Handeln bewährt sich in der exklusiven Anwendung in All-tagsfällen und ist für Absolventen und Absolventinnen inklusiver Bestandteil jeder beliebigen Alltagssituation. Dieses Professionalitätsverständnis erweitert damit den Praxisbegriff. Es zielt auf die vielfältigen Aspekte des beruflichen Alltags in der Kindheitspädagogik und reicht über die unmittelbare Praxis der Betreuung, Erziehung und Bildung weit hinaus.
Eben weil Kinder, Mädchen und Jungen, ihre Familien und die pädagogischen Akteurinnen der Mittelpunkt der professionellen Perspektive sind, werden sie heute weniger unter dem Gesichtspunkt von Alltagshandeln und Alltagsroutinen im Sinne des traditionellen Erziehungs- und Bildungsbegriffs verstanden, sondern vielmehr als AdressatInnen in einem breit angelegten Verknüpfungssystem.
Kernelemente für einen solchen, erweiterten Praxisbegriff und somit ein systematisch wissenschaftlich reflektiertes Theorie-Praxis-Verhältnis im professionellen Sinne sind bspw.:
? Raum für Erstellung einer Verbindung zwischen dem theoretisch fundierten und reflektierten Erfahrungswissen – die Verbindung eines „wissenschaftlich reflexiven“ mit einem „praktisch-pädagogischen Habitus“ ,
? Erprobung und Reflexion forschungsmethodischer Kompetenzen durch Erarbeitung eigener im Studium entwickelter Forschungsfragen,
? „Aufspüren“ und Aufarbeitung relevanter Fragen des pädagogischen Feldes für eine wissenschaftliche Analyse im Sinne von Praxisforschung,
? In Beziehung setzen des pädagogischen Handelns zu gesellschaftlich relevanten und professionsbezogenen Themen sowie zu entsprechenden Bezugsdisziplinen und ihren Perspektiven,
? Differenzierte und reflektierte Kommunikationsweisen mit allen AkteurInnen, und
? Systematische Reflexionsformen aller Handlungs-, Interaktions- und Sozialmana-gementpraxen.
Entsprechend erweitert gedacht werden muss daher auch die Einbindung der Lernorte Praxis in das Ausbildungskonzept von Studiengängen der Hochschulen und deren Bewertung durch die Ministerien und Träger.
Um im kindheitspädagogischen BA – Studium die für ein solches Professionsverständnis not-wendigen Einstellungen und Handlungskompetenzen zu erwerben, ist ein solches, erweitertes Praxisverständnis notwendig, in dem sehr unterschiedliche Fachperspektiven, Problem-situationen, Themen und Handlungsformen der Praxis relevant sein können, deutlich über nur die unmittelbare Arbeit mit Kindern hinaus.
Entscheidend für die politisch gewünschten Veränderungen ist, dass auch ungewohnte Perspektiven, Methoden und Handlungsweisen gewohnte Sichtweisen irritieren und bereichern können. Nicht eine Abschottung des Berufsfeldes Kindertageseinrichtungen ist sinnvoll, sondern dessen Öffnung. Eine derartige reflexive und professionserweiternde Durchlässigkeit muss gesetzlich flankiert werden, so wie auch in anderen Bundesländern dies teilweise durch die Modifizierung der Kitagesetze schon auf den Weg gebracht wurde.
Die zunehmend differenzierteren Aufgaben des kindheitspädagogischen Feldes sprechen für eine Differenzierung durch „multiprofessionelle Teams“ ( also die qualifizierte Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen), in der reflexive, auf wissenschaftlicher Grundlage erworbener Kompetenzen mindestens genauso bedeutsam sind wie ein auf die Gestaltung von Routinen und (Sozial) Didaktik ausgerichtetes Handlungswissen. Vertikale Durchlässigkeit muss in jede Richtung praktiziert werden, nicht nur in eine Richtung!
Soll die Ausbildung im kindheitspädagogischen BA – Studium zur Berufsausübung etwa als Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern befähigen, muss daher der begleitete Anteil reflexiver Praxis mindestens 30 ECTS (100 Tage) der Ausbildung umfassen, die kindheits-pädagogische Studiengänge mit unterschiedlichen Studienprofilen und Modulschwerpunkten nachweisen.
Ein solches, reflexives und dynamisches Praxisverständnis erweitert die bewährten Formen und Aspekte einer engen Verzahnung des forschenden Lernens im Studium und in der Praxis wie
· die enge und wechselseitige Kooperation zwischen Hochschule und Praxis,
· eine wechselseitig abgestimmte Qualitätsentwicklung der Praxisstellen
· die Begleitung der Praktika von Hochschule und Praxis mit unterschiedlichen Aufgaben,
· die Verzahnung von Lehre, Forschung und Praxis
· und eine gegenseitige Bereicherung und Wertschätzung.
Die aktuelle Praxis des niedersächsischen Kultusministeriums bei der Anerkennung von Studiengängen und der damit verbundenen Regelung des Berufszuganges ist zurzeit noch unbefriedigend. Die zugrunde gelegten Konzepte und Kompetenzmodelle (z.Zt. JFMK und KMK 6/2010) nehmen nur in Ansätzen Bezug auf den EQR und DQR und sind ebenso nur teilweise auf die von BAG-BEK, DGFE und der Bosch-Stiftung entwickelten Bedarfe für kindheitspädagogische BA – Studiengänge angepasst. Eine ernsthafte Anerkennung akademi-scher Studien und ihrer spezifischen Kompetenzerwerbsgestaltung findet nicht statt.
Der im Papier der JFMK und KMK beschriebene Veränderungs- und Professiona-lisierungsbedarf des beruflichen Feldes und die dazu genannten Kompetenzprofile als Grundlage erforderlicher Qualifizierungen entsprechen nur bedingt den für Hochschulausbildung maßgeblichen Orientierungsrahmen des DQR[1] für die Praxis (Niveau 6 und 7) sowie dem akademischen Kompetenzprofil des Qualifikationsrahmens für Deutsche Hochschulabschlüsse[2] (Stufe 1).
Die Beschreibungen des Professionalisierungsverständnisses für hochschulische Studiengänge, bleiben daher zu vage und müssten durch oben beschriebenes Professionalisierungsverständnis ersetzt werden.
Vor allem problematisch scheint in diesem Zusammenhang ein Praxisbegriff, in dem unklar bleibt, was eigentlich pädagogische Arbeit in einem für ein zunehmend komplexer erscheinendes Praxisfeld zugeschnittenes reflektiertes Theorie-Praxis-Verhältnis bedeutet.
Die beschriebenen Kompetenzmerkmale entsprechen jedenfalls nur teilweise dem Stand eines wissenschaftlich relevanten Professionsverständnisses und seiner Perspektiven auf Praxis.
Dabei muss die Praxis der Anerkennung der Praxisanteile dem beschriebenen, erweiterten Ver-ständnis von Praxisbezügen angepasst werden, denn Praxis in den Handlungsfeldern der Kindheitspädagogik gestaltet sich vielfältig und umfasst mehr als die direkte pädagogische Interaktion mit Kindern.
Eine Steuerung der gewünschten Ausweitung des akademisch ausgebildeten Personals gelingt nur befriedigend, wenn die jeweiligen Ausbildungsprofile für alle AkteurInnen erkennbar bleiben. Dabei geht es nicht darum, eine Konkurrenzsituation zwischen Fachschulen und Hochschulen herzustellen oder zu verschärfen. Die unterschiedlichen Akteure und Akteurinnen sind bei der Bewältigung des laufenden Veränderungsprozesses aufeinander angewiesen.
Für die Herstellung, Entwicklung und Verallgemeinerung von Durchlässigkeit zwischen den Ausbildungsformen und die Entwicklung „multiprofessioneller Teams“ als der Zusammenarbeit unterschiedlicher Professionen bildet die Trennschärfe der Kompetenzprofile eine entscheiden-de Rolle.
Für die Universitäten und Hochschulen wird hier ein Verständigungsrahmen vor-gelegt, zu dem die Modulhandbücher und Studienverlaufspläne als Konkretisierung hinzu-zuziehen sind.
Für die Fachschulen liegt ein „Orientierungsrahmen„ vor, zu dem in Niedersachsen die Lern-feldkonkretisierungen und die modellhaften Modularisierungen der Schulversuche als Konkretisierung ebenfalls hinzuzuziehen sind.
Unter Berücksichtigung und wechselseitiger Anerkennung der jeweiligen Inhalts-,Organisations- und Lehr- rsp. Lernbedingungen, die insgesamt auf die Aneignung und Realisierung von Kompetenzen bezogen werden, sind die im Anhang aufgeführten Bereiche als Äquivalenzfelder im Anerkennungsprocedere formulier-, und durchaus noch weiterentwickelbar.
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Fachhochschule Hildesheim / Holzminden / Göttingen Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit Studiengang Bildung und Erziehung im Kindesalter
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