Bewegungserziehung im Kindergarten kennzeichnet einen Handlungs- und Erfahrungsbereich, in dem die Bewegung und die Leiblichkeit (der Körper) im Vordergrund stehen. Mit Bewegungserziehung im Kindergarten werden eine Verbesserung der körperlich-motorischen Fähigkeiten und eine Erweiterung der Bewegungsmöglichkeiten angestrebt. Darüber hinaus geht es aber auch um eine Erziehung und Bildung durch den Köper und die Bewegung.
Die im 19. Jahrhundert übliche Bezeichnung für jede Art von körperlicher Erziehung war das Turnen, dieser Begriff ging über das heute übliche enge Verständnis des Geräteturnens hinaus. Mitte des 20. Jahrhunderts sprach man von Leibeserziehung und Leibesübungen. Um auf die Vielfalt der Bewegungskultur hinzuweisen und ihre erzieherischen Möglichkeiten hervorzuheben, wird heute vielfach der Begriff Bewegungserziehung bevorzugt.
Die Notwendigkeit einer gezielten, regelmäßigen Bewegungserziehung im Kindergarten lässt sich anthropologisch begründen: Der Mensch ist ein auf Bewegung und Erfahrung angelegtes Wesen, das des Einsatzes aller Sinne und insbesondere seines Körpers bedarf, um sich ein Bild über die Welt und sich selbst in ihr zu machen. Der Körper ist dabei Mittler der Erfahrungen, er ist aber zugleich auch Gegenstand, über den Erfahrungen gemacht werden. Über Wahrnehmung und Bewegung setzt sich das Kind mit seiner dinglichen und räumlichen Umwelt auseinander, es gewinnt Erkenntnisse über deren Gesetzmäßigkeiten; über Bewegung macht es Erfahrungen über die eigene Person und über seine Mitmenschen.
Zu den wesentlichen Bildungsaufgaben der Bewegungserziehung im Kindergarten gehört der Umgang mit dem eigenen Körper (Körpererfahrung, Körperwahrnehmung), die Auseinandersetzung mit Raum und Objekten (materiale Erfahrung), mit anderen (soziale Erfahrung) und mit sich selbst (personale Erfahrung).
Bewegung gilt einerseits als spezifischer Bildungsbereich im Kindergarten, anderseits kann Bewegung aber auch als ein wesentliches Medium der Erfahrungsgewinnung gelten und damit als Querschnittaufgabe frühkindlicher Erziehung gesehen werden. In den Bildungs- und Orientierungsplänen der Bundesländer wird Bewegung oft in Verbindung mit den Bereichen Körper und Gesundheit genannt.
Bewegungserziehung im Kindergarten bedarf einer Raumgestaltung (Innen- und Außenräume), die auf die Bewegungsbedürfnisse der Kinder abgestimmt ist und die sowohl eine spezifische Bewegungsförderung als auch offene, freie Bewegungsmöglichkeiten erlaubt.
Besondere Bedeutung gewinnt Bewegungserziehung heute aufgrund des Bewegungsmangels, der den Alltag kennzeichnet und die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern von klein auf beeinträchtigt. Im Sinne einer Gesundheitserziehung kann Bewegungserziehung im Kindergarten zu einem gesunden Lebensstil anregen. Sie gilt damit als eine wichtige Säule der Prävention von Bewegungsmangelerkrankungen und trägt zum Aufbau personaler Ressourcen bei. Motorische Aktivitäten im Kleinkindalter tragen zur Differenzierung der Wahrnehmungssysteme bei und wirken sich darüber hinaus auch auf unterschiedliche Persönlichkeitsbereiche aus (Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes). Von besonderer Bedeutung ist dabei das in Bewegungshandlungen mögliche Erleben von Selbstwirksamkeit.
Die Ergebnisse von Studien belegen, dass Bewegung ein entwicklungsförderndes Potenzial besitzt, das insbesondere in den ersten Lebensjahren nicht nur die motorische Entwicklung beeinflusst, sondern sich auch positiv auf den Erwerb von Lernstrategien und den Aufbau von Selbstkompetenz auswirkt.
Literatur
Copyright-Hinweis:
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. © 2011 Verlag Julius Klinkhardt. Quelle: Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft (KLE), hg. v. Klaus-Peter Horn, Heidemarie Kemnitz, Winfried Marotzki und Uwe Sandfuchs. Stuttgart, Klinkhardt/UTB 2011, ISBN 978-3-8252-8468-8. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Verlags. Das komplette Klinkhardt Lexikon Erziehungswissenschaft erhalten Sie im UTB-Online-Shop (Link s.u.)
Leiterin der nifbe-Forschungsstelle Bewegung und Psychomotorik
Kurz-Bio:
Prof. Dr. Renate Zimmer studierte Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Universität Mainz. Danach war sie vier Jahre lang (1968 – 1972) hauptamtlich als Lehrerin an einem Gymnasium und an einer Grundschule in Bitburg tätig. Von 1972 bis 1976 absolvierte sie ein Studium der Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt „Frühe Kindheit“ an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz, Abt. Worms und wurde anschließend Wissenschaftliche Assistentin an den Universitäten Hildesheim und Osnabrück. 1981 erhielt sie einen Ruf auf eine Professur für Sportwissenschaft an der Universität Osnabrück/Fachbereich Erziehungs- und Kulturwissenschaften. Seit 1991 führt Renate Zimmer regelmäßige bundesweite Kongresse zum Thema „Bewegte Kindheit“ durch, die mit 2500 Teilnehmern zu den größten Veranstaltungen dieser Art gehören. Internationale Kooperationen auf dem Gebiet der frühen Kindheit pflegt sie u.a. mit dem Institut für Frühpädagogik in Hangzhou/China, der EWHA-Universität in Seoul/Korea, der Dimocritus- Universität in Komotini/Griechenland und der Freien Universität Bozen/Italien, an der sie für die Bildungswissenschaftliche Fakultät den Bereich Bewegungserziehung und Psychomotorik aufgebaut hat und mehrere Forschungsprojekte betreut. Viele ihrer insgesamt 34 Bücher zu den Themen Frühkindliche Entwicklungsförderung, Bewegtes Lernen, Psychomotorik, Bewegungserziehung, Sinneswahrnehmung und Sprachförderung sind in mehrere Sprachen (u.a. griechisch, koreanisch, chinesisch, finnisch) übersetzt worden. 2007 wurde sie wegen ihres besonderen gesellschafts- und bildungspolitischen Engagements für Kinder durch den Bundespräsidenten Horst Köhler mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Prof. Dr. Renate Zimmer leitet die Forschungsstelle Bewegung, Wahrnehmung, Psychomotorik und ist gleichzeitig Vorstandsvorsitzende und Leiterin des Niedersächsischen Instituts für Frühkindliche Bildung und Entwicklung.