Der folgende Text ist ein Ausschnitt aus dem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Supervision vom 19.09.2011. Um einen Blick auf den Gesamtzusammenhang zu bekommen und den Text auch kontextuell einordnen zu können, lesen Sie bitte auch die dazugehörigen Texte, die im Anschluss verlinkt sind.
Pädagogische Fachkräfte in der Elementarpädagogik sehen sich, unabhängig von ihrem Qualifikationsniveau, einer Vielzahl von qualitativen und quantitativen Anforderungen ausgesetzt, die sie zunehmend an die Grenze ihrer Belastbarkeit führen.
Neben dem hohen Geräuschpegel in den Einrichtungen werden insbesondere Personal- und Zeitmangel sowie Komplexität und Umfang der Anforderungen als belastend erlebt. Als Beispiele werden hier die Betreuung, Bildung und Erziehung von Kindern unter drei Jahren, der Krippenausbau, Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung mit den Schwerpunkten Beobachtung, Dokumentation und Diagnostik sowie die vielschichtigen Veränderungen von Familien und ihren Lebenswelten genannt. Das Lohnniveau pädagogischer Berufsgruppen sowie fehlende gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung werden als zusätzliche Belastungsfaktoren genannt. Arbeitszeiten, die weitgehend identisch sind mit den unmittelbaren Betreuungszeiten der Kinder führen zu einer deutlichen Arbeitsverdichtung. Notwendige Vor- und Nachbereitungszeiten sind weitgehend wegrationalisiert worden, für Fort- und Weiterbildung, für Kommunikations- und Reflexionszeiten sowie Supervision stehen kaum Ressourcen zur Verfügung. Zugleich erleben pädagogische Mitarbeiterinnen in den Krippen und Kindertageseinrichtungen, als Folge enger Personalschlüssel und hoher Krankenstände immer weniger Zeit für die direkte Beziehungsarbeit mit Mädchen und Jungen und für die Elternarbeit zu haben[1].
In ihrer pädagogischen Arbeit stehen sie zudem im Spannungsfeld verschiedener Zeitdimensionen. Sie sind gefordert, immer wieder eine Balance zu finden zwischen den individuellen Lern- und Entwicklungszeiten der Kinder und den immer schneller werdenden Zeitstrukturen von Arbeitsorganisation und Öffnungszeiten, die den Alltag der pädagogischen Fachkräfte von außen bestimmen. Erweiterte Betreuungszeiten der Einrichtungen haben zu veränderten Arbeitszeiten für die Mitarbeiterinnen geführt, was sich wiederum auf ihre eigene Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Work-life-balance auswirkt.
Leitungskräfte und Teams sehen sich mit einer Vielzahl von Top Down Vorgaben konfrontiert, die jeweils zeitnah umgesetzt werden sollen, häufig ohne dass entsprechende Strukturen, Ressourcen und Rahmenbedingungen dafür geschaffen wurden. Berufliches Handeln wird dadurch zunehmend als reaktives Handeln, nicht als aktives oder gar proaktives Handeln erlebt.
Durch intensiv in der Öffentlichkeit diskutierte Einzelschicksale von Kindeswohlgefährdung und auch Missbrauchsfällen sind Teams im Feld sehr sensibilisiert und teilweise verunsichert. Insbesondere die Rolle von Männern in dem Feld bedarf deshalb reflektierender wirkungsvoller Unterstützung auch als Krisenintervention. Zum einen, um in Teams dem „Generalverdacht gegen männliche Kollegen“ entgegenzuwirken und zum anderen um den professionellen Umgang mit den Themen und den damit einher gehenden Gefühlen von Ohnmacht, Wut etc in der Elternarbeit und Öffentlichkeit systematisch zu bearbeiten.
Zugleich sind pädagogische Fachkräfte unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Generationenprägungen und (berufs-)biographisch begründeten Werthaltungen, unterschiedlichen Arbeitsplatzsicherheiten und Lohnniveaus gefordert, miteinander zukunftsfähige pädagogische Konzeptionen zu entwickeln und umzusetzen. Dieses Spannungsfeld zu gestalten, ist für Teams und Leitungskräfte mit komplexen Anforderungen verbunden.
Für Leitungskräfte sind die Aufgaben jedoch nicht nur im Bereich der Personalführung deutlich anspruchsvoller geworden. Auch als Budgetverantwortliche, als Repräsentantinnen der Einrichtung, als Ansprechpartnerinnen des Trägers, als Akteurinnen im Sozialraum und als Changemanagerinnen sind sie gefordert, eine neue Professionalität und Leitungsidentität zu entwickeln.
Die Summe dieser aufgeführten Auswirkungen auf das Arbeitsfeld Elementarpädagogik beschreibt das zunehmenden Veränderungstempo und die Zumutungen der letzten Jahre, die die pädagogischen Fachkräfte in ihren Aufgaben der Erziehung, Bildung und Betreuung erfahren haben. Die Aufwertung ihres Berufsbildes als wichtige Bildungsbegleiter gehen einher mit der gleichzeitigen Abwertung im Feld, die an den strukturellen Bedingungen wenig verändert, sodass die päd. Fachkräfte sich in einem Dilemma befinden. Sie sehen sich mit umfangreichen Anforderungen konfrontiert, die als Ansprüche von Gesellschaft, Politik und der Fachwissenschaft in unterschiedlichen Kombinationen an die päd. Mitarbeiterinnen herangetragen werden und in der Praxis zu einer wahrnehmbar erhöhten Belastung führen. Supervisorinnen und Supervisoren beobachten, dass häufiger auftretende turbulente Veränderungen am Arbeitsplatz bei Mitarbeiterinnen zu steigender innerer Orientierungslosigkeit und zunehmenden Stresssymptomen führen.
Supervision unterstützt und entlastet bei der Bewältigung dieser vielschichtigen Phänomene. Auf der personalen Ebene trägt sie maßgeblich dazu bei, die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiterinnen zu fördern. Sie unterstützt die Entwicklung von Veränderungskompetenz und Reflexionsfähigkeit. Auf Teamebene bietet sie ein geeignetes Forum, um Dynamiken und Prozesse sensibel zu thematisieren und konstruktiv zu gestalten. Dazu gehört auch die kritische Reflexion der (Sonder-)Situation und Rolle der wenigen männlichen Kollegen in der Elementarpädagogik. Auf Leitungsebene begleitet und stärkt Supervision in Rollenklärungs- und Rollenfindungsprozessen. Auf Organisationsebene bietet sie eine fachkundige Begleitung von Konzeptentwicklungs- und Organisationsentwicklungsprozessen. Auf Trägerebene, im Sozialraum und anderen organisationsübergreifenden Kontexten unterstützt sie Strategieprozesse sowie den Aufbau und die Gestaltung neuer Vernetzungen, Kooperationen und Arbeitsmodelle verschiedener Akteure der Elementarpädagogik.
Supervision ist auf allen genannten Ebenen ein erprobtes und bewährtes Instrument, um den Blick zu weiten, Gestaltungsspielräume zu erkennen und aktiv zu nutzen – auch und gerade in Zeiten gravierender Veränderungen, steigender Anforderungen und enger Rahmen. Sie als Instrument der aktiven Professionalisierung der Elementarpädagogik und der in ihr tätigen Menschen bindend einzuführen und zu verstetigen, ist ein wesentlicher Schritt, die Handlungsfähigkeit des Feldes zu erhalten, zu stärken und weiterzuentwickeln.
[1]GEW (Hrsg.), Betriebliche Gesundheitsförderung im Sozial- und Erziehungsdienst, Frankfurt am Main 2009.
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