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Den Teufelskreislauf durchbrechen

„Herausforderndem Verhalten“ professionell begegnen

Der professionelle und ressourcenorientierte Umgang mit als herausfordernd wahrgenommenen Kindern stand im Fokus eines Vortrags von Prof. Dr. Rieke Hoffer. Die Psychologin und Professorin an der Hochschule Koblenz hat zusammen mit Prof. Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff  das Qualifizierungsprogramm „HeVeKi“ entwickelt, erprobt und evaluiert. Der von nifbe-Referent Peter Keßel moderierte Vortrag mit gut 850 Teilnehmer*innen fand im Rahmen der kostenlosen nifbe-Vortragsreihe „Der geht mir dann über Tische und Bänke“ statt.

Zu Beginn umriss Rieke Hoffer kurz die Ausgangslage und wies auf einen laut KIGGS-Studie lange Zeit relativ stabilen Anteil von rund 20 Prozent an Kindern mit psychischer Belastung hin. Dieser Anteil sei während der Corona-Zeit deutlich gestiegen und gehe nun nur langsam zurück. Auf Seiten der Fachkräfte zeigte sie einen Zusammenhang zwischen (geringerem) Kompetenzerleben und (höherem) Belastungsempfinden auf. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels und einer drohenden De-Professionalisierung verschärfe sich dieser Zusammenhang und die Belastungen der Fachkräfte würden sich auch auf die Kinder übertragen: Die Interaktionsqualität sinke und die Gefahr verletzenden Verhaltens steige. „So entsteht ein Teufelskreis“ konstatierte die Psychologin und erklärte damit auch ein Stück weit die dramatische Zunahme von als herausfordernd wahrgenommenen Kinder durch die Fachkräfte.

Um diesen Teufelskreislauf zu begegnen plädierte Rieke Hoffer für eine durch Konzepte gestützte systematische Herangehensweise und stellt das in der Praxis vielfach erprobte und evaluierte „HeVeKI“-Curriculum (Herausforderndes Verhalten von Kindern) vor. Dieses eigne sich für die in der Regel rund 5-10 Prozent an Kindern in einer KiTa-Gruppe, die von Fachkräften nur noch sehr schwer oder gar nicht mehr erreicht werden könnten. Es gehe dabei aber nicht um „Rezepte“.

Subjektive Perspektive bewusst machen

Als wichtigen Punkt stellte sie die Unterscheidung der eher zuschreibenden Begrifflichkeiten wie „verhaltensauffällig“ oder „herausfordernd“ und den eher subjektiv geprägten „als herausfordernd oder verhaltensauffällig wahrgenommen / erlebt“ voran. Während erste Zuschreibungen einen statischen und diagnostischen Charakter hätten, würden zweite Formulierungen auf die Subjektivität der eigenen Sichtweise und die Möglichkeit zur Veränderung hinweisen. „Es gibt nicht ‚die Wirklichkeit‘ oder ‚die Objektivität‘, sondern nur konstruierte und interpretierte Wirklichkeit“ unterstrich Rieke Hoffer und führte den Teilnehmer*innen dafür ein frappierendes grafisches Beispiel vor. Wichtig sei es daher die eigenen Werte und Normen sowie die Selbst- und Fremdeinschätzung zu überprüfen und zu reflektieren – z.B. auch durch Biographiearbeit.

Als Kernprinzip des HeVeKi-Curriculums beschrieb Rieke Hoffer in der Folge den „Kreislauf des professionellen Handelns“ mit folgenden, sich immer wiederholenden Schritten:

  • (Systematisches) Beobachten
  • Vertieftes Analysieren und Verstehen
  • Handlungsplanung aufgrund von Hypothesenbildung
  • Handeln
  • Überprüfen

Rieke Hoffer empfahl, hier mit kleinen Schritten zu beginnen und nur jeweils ein Kind mit einer „herausfordernden“ Verhaltensweise über einen definierten Zeitraum in den Blick zu nehmen. Für die systematische und regelgeleitete Beobachtung stellte sie eine Tabelle vor, in der wichtige Aspekte festgehalten werden können, wie z.B.

  • Was ist passiert?
  • Wer war beteiligt?
  • Was war vorher?
  • Was war nachher?

Anhand einer solchen systematischen Beobachtungen zeige sich dann auch oftmals, das neben möglichen herausfordernden Verhaltensweisen auch viele positive auffallen und der Wechsel von der Defizit- zur Ressourcenorientierung leichter falle.

Grundbedürfnisse im Blick behalten

Als Kompass für die Hypothesenbildung empfahl die Referentin bewährte psychologische Erklärungsmodelle wie das „Biopsychosoziale Modell“ oder das „Modell der Grundbedürfnisse“. Zu überprüfen sei jeweils, ob diese interdependenten (psychischen) Grundbedürfnisse über den Tagesverlauf in der KiTa auch erfüllt sind:

  • Bindungs- und Beziehungsbedürfnis sowie Bedürfnis nach Exploration und Weltaneignung
  • Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
  • Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und -schutz
  • Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

„Eine dauerhafte Nichtbefriedigung dieser Grundbedürfnisse führt zu Unzufriedenheit und Anspannung sowie deren Befriedigung auf Umwegen“ erläuterte Rieke Hoffer und machte einmal mehr deutlich: „Jedes Verhalten hat seinen Sinn!“

Bei der Hypothesenbildung und der anschließenden Handlungsplanung sei es wichtig, nicht nur das Kind, sondern in systemischer Herangehensweise auch die anderen Ebenen wie Eltern und Fachkräfte mit in den Blick zu nehmen. Ebenso wichtig sei es, die Verantwortung im Team auf verschiedene Schultern zu legen und verbindliche Absprachen zu treffen.

Abschließend präsentierte die Referentin noch übergreifende Gelingensbedingungen für die Implementierung des HeVeKi-Konzepts in den KiTa-Alltag:

  • Systematisches und transparentes Vorgehen
  • Unterstützung durch das ganze Team (oder zumindest einen Großteil davon)
  • Unterstützung durch den Träger
  • Kontinuierliche Begleitung des Teams
  • Vernetzung im Sozialraum
  • Anpassung des Curriculums an die jeweilige Ausgangslage der KiTa
  • Konzeptionelle Verankerung

In der sich anschließenden regen Diskussion der Teilnehmer*innen ging Rieke Hoffer auch auf die in den letzten Jahren massiv angestiegenen Anforderungen an KiTas ein, ohne dass sich die Rahmenbedingungen entsprechend verbessert hätten. Für KiTas sei es daher wichtig, sich auf ihren pädagogischen Kern zu besinnen und auch beim Thema der als herausfordernd erlebten Kindern mit kleinen Schritten anzufangen und sich frühzeitig Unterstützung zu holen. So könne auch dem drohenden Trend zur Exklusion von als herausfordernd erlebten Kindern in der KiTa begegnet werden.

Karsten Herrmann

Niedersächsisches Institut
für frühkindliche Bildung und Entwicklung e.V.
Jahnstraße 79
49080 Osnabrück
Tel: 0541 - 58 054 57 - 0
E-Mail: info@nifbe.de
"Im Mittelpunkt der Arbeit des nifbe steht das Kind in seinem sozialen Kontext und mit seinem Anspruch auf bestmögliche Förderung und Begleitung von Anfang an."
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